Reflexionen über Autobiographisches

Erfahrungsgemäß können Innovationen (neudeutsch für Erfindungen jeglicher Art) so gut wie nie mehr zurückgenommen werden. Schon der Versuch, heute (2024) mal für einen Monat oder zwei das Smartphone wegzulegen oder unbenutzt zu lassen, erweist sich als extrem schwierig. Wie auch immer, ich denke, das sich nichts an Technik zurückdrehen lassen wird. Wir werden daher wohl oder übel damit leben und es daher auch vernünftig verwenden müssen. Das geht nicht ohne Anstrengungen, Einschränkungen und erfordert eine bevölkerungsweite Verbreitung von Bildung. Das aber wird ohne Haken und Ösen nicht möglich sein, und wird daher den Begriff Freiheit, wie wir ihn heute immer noch verstehen, massiv einschränken müssen. Wir sehen das in den heute üblichen Bildern, die Strukturen zu zerschlagen versuchen und mehr und mehr in eine sehr verworren daher kommenden Woke-Kultur 1 mündet. Diese scheint zunehmend aus den Begriffen Wahrheit und Realität auszusteigen und beginnt, eine extrem dualistische Spaltung in der Gesellschaft auszugestalten, in der zum Beispiel eine „sich verloren glaubende Jugend“ um ihre Zukunft sorgt, wo Frauen gegen Männer, Linke gegen Rechte, Öko-Krieger gegen Konsumenten kämpfen und so weiter. Für mich persönlich ist Woke eine rechthaberische und wenig mitfühlende Kultur, da sie generalisierend den Anderen nicht mehr als anders toleriert, ihn bekämpft und dabei weit über das Ziel hinausschießt. Es gibt nach wie vor Ungerechtigkeiten, ja sicher, aber diese sind mit Kampf, Protest und Diskriminierung Anders-Denkender nicht zu beseitigen. Um in geisteswissenschaftlichen Begriffen zu beschreiben, was geschah, was gerade geschieht und wohin es sich entwickelt sind wir Menschen gerade dabei, eine neue Stufe des Bewusstseins zu entwickeln, der ich mich seit Jahrzehnten schon zugetan fühle. Dabei geht es, um zeitgeschichtlich zurückzuschauen, auf der Aufklärung 2 aufbauend über die Ebene der Moderne 3, und der Postmoderne 4 in eine Phase hinüber, die mittlerweile mit dem Wort Meta-Moderne 5 beschrieben wird. Die verschiedenen Stadien der Moderne gehen einfacher formuliert über die Versuche, alle Probleme wissenschaftlich-technisch zu lösen und deren Negation über eine Sphäre, die den Geist, der Kultur und dem Narrativ immer größere Spielräume zugesteht in eine übergreifende Sichtweise, die das Materiell-Körperliche der Moderne mit der gegenteiligen Ebene des rein Geistigen der Postmoderne zu verbinden sucht zu einer mehr umgreifenden Sichtweise, die wir gewöhnlich als „Ganzheitlich“ bezeichnen. Allerdings ist dieser Begriff heute schon etwas abgenutzt, da er von der Industrie in mehreren Sparten zur Gewinnmaximierung durch Werbung aufgegriffen wurde. Nun ist die Metamoderne noch im Anfangsstadium ihrer Entwicklung. Der Großteil der Gesellschaft westlicher Prägung befindet sich nach wie vor in der Moderne wieder, die jüngeren Generationen gehen mehrheitlich immer stärker zur postmodernen Haltung über und der Anteil derer, die Metamodern zu denken vermögen, ist nur im unteren einstelligen Prozentbereich angesiedelt. Sie erscheinen in der Geselligkeitswelt oftmals als sonderbar, einzelgängerisch und wenig Mainstream-sozialisiert, da sie sich durch ihre Mischung aus Selbstbewusstheit und Mitgefühl selbst auszugrenzen scheinen, das aber auch müssen, um in der ihnen fremden Mehrheitswelt überleben zu können. Als Einzelgänger wider Willen stehe ich dieser letztgenannten Gruppierung deutlich näher als gegenüber der großen Mehrheit, die mich ja zum Einzelgänger gemacht hat. Richtig zugehörig aber fühle ich mich nach wie vor zu keiner dieser Gruppen. Fassen wir noch einmal zusammen, was bereits geschrieben wurde und ergänzen das weiter oben Ausgeführte:

Wir wissen nicht woher wir kommen und wohin wir gehen.

Wir können aber gesichert wissen, das sich Leben entwickelt. Diese Entwicklung ist nach wie vor im Gange und sie schreitet zur Zeit von der Moderne über die Postmoderne zur Metamoderne.

Die Vielheit der Glaubensrichtung lässt nur den Schluss zu: Wir wissen nicht, welche davon richtig ist. Daher ist Offenheit diesbezüglich angebracht. Auch die Rückbesinnung, die Woke-Kultur, die Wissenschaften selbst und auch das postmoderne Denken erfüllen die Kriterien einer Religion im weitesten Sinne.

Wir sollten der Friedlichkeit des Zusammen-Leben-Müssen’s wegen die Gesetze der Gemeinschaften, denen wir angehören, befolgen. Dazu gehört auch, im Protest und im Anders-Sein-Wollen nicht über die Grenzen des Vereinbarten hinauszugehen.

Auch wenn wir nicht wissen können, sollten wir uns doch zumindest im Denken einen Sinngehalt erarbeiten. Dazu ist es notwendig, die Entwicklung des Prozesses zu begreifen, in dem wir uns gerade vorwärts bewegen und die Motive zu erkennen, die uns noch offen stehen und die daher zu erarbeiten sind.

Für mich ist die Entwicklung der mir noch offen anmutenden Motive von möglichen Lebensinhalten ein großes und Zeit-füllendes Anliegen. Informiert sein, zu verstehen, wo wir stehen, wohin wir gezogen werden, was zu tun und zu lernen ist und welche Ursachen diese Situationen aufweisen sind für mich daher unabdingbar. Daher beschreibe ich, was ich sehe, was ich missbillige, was ich erkenne und welche Gedanken dazu mir im Sinn erscheinen. Es ist wichtig für mich, meine Entwicklung voranzutreiben. Aber ich möchte das tun, ohne mich an vorgefertigten Erzählungen zu orientieren. Zugegeben, oftmals ist es der Zufall, vielleicht aber auch Intuition, die mich zu einem weiteren Thema vordringen lässt und das ich dann mit Akribie und Hartnäckigkeit zu erfassen suche. Manche Erkenntnis erwächst aus Körperübungen wie Yoga, andere erscheinen aus Träumen oder Meditationen, die häufigsten allerdings keimen auf nach einem einfachem Sitzen in Stille. Körper und Geist sind für mich nicht getrennt zu erfahren. Sie sind eine Einheit, die sich zwar in Polaritäten ausdrückt, aber sich nie irgendwie klar definiert und einseitig zeigt.

Nun, was erschließt sich aus dem Beschriebenen für mein Leben? Das ist ja der eigentliche Sinngehalt des Autobiographischen. Ich habe ein 70 lange Jahre andauerndes Leben hinter mir, bin seit fast 7 Jahren im Ruhestand und erlebe mich Tag für Tag in einem ausgefüllten und gut strukturiertem Leben. Ich bin gesund, habe ein ausreichendes Einkommen und verfüge trotz vieler Termine durch meine Yoga- und Gymnastikarbeit sowie den alltäglichen Aufgaben über genügend Zeit, meine Gedanken ziehen zu lassen. Daran gibt es nichts auszusetzen. Auch über dem immer näher kommenden Ende meines Lebens sehe ich ohne Sorgen entgegen. Ich habe weder Abhängigkeiten noch Verpflichtungen aufgebaut, die durch meine Abwesenheit kürzerer, längerer oder auch endgültiger Art erheblichen Verlust hinterlassen könnten. Weiterhin habe ich keinerlei Reichtümer angehäuft, die verteilt und erstritten werden müssten, hinterlasse weder Schulden noch andere zu erfüllende Verträge und die wenigen Dinge in meinem Besitz werden sich schnell verteilen lassen. Selbst für meine Bestattung habe ich genug Geld angespart. Ich sehe dem Tod, dem ich nicht entweichen kann, gelassen entgegen. Er wird meine letzte große Reise werden, und ich bin gespannt, wohin es mich befördert, falls überhaupt. Trotzdem werde ich um jeden Tag kämpfen, denn ich habe beschlossen, steinalt zu werden und keine Flinten ins Korn zu werfen. Was mir bleibt, ist doch zuerst, mich um die Abteilungen meines Seins zu kümmern, die diese letzte Reise antreten werden. Das wird kein Haus, kein Garten, keine Firma und keine von mir abhängigen Person sein, sondern einzig und allein das bisschen Geist, das ich mein eigen nenne und diese Reise wohl ganz allein antreten wird. Zumindest sah ich bisher niemand vor mir gehen, der etwas anderes als seinen Geist auf die Reise geschickt hat. Und diesen Geist möchte ich in guter Verfassung, gut vorbereitet und schlagfertig eingerichtet los senden. Dazu muss dieser geklärt, unabhängig ausgeformt und gut ausgestattet sein mit allem Wissen, das auf dieser Welt noch zu ergattern ist. Viel ist es ja nicht gerade, aber immerhin, es gibt jeden Tag Neues und Interessantes hinzuzufügen. Und das wird mein Arbeitsgebiet sein, solange ich noch denken kann, sei es durch Studien, sei es durch Reisen, durch Schreiben, durch Yoga und andere Übungsformen, durch Meditation und Zazen und natürlich im Alltag mit seinen immer wiederkehrenden Verpflichtungen. Da gibt es noch viel zu tun, finde ich. Und wenn das Angenehme durch etwas Nützliches ergänzt werden kann, werde ich das auch noch angehen. Zum Kämpfen ist der Mensch in meiner Vorstellung niemals zu alt. Wir sollten es auch gebrauchen.

Wahrscheinlich ist der Satz „Ich weiß nicht wirklich, warum oder wieso wir sind, aber es erscheint mir gut zu sein so, wie es ist“ für mich der Quell meines Weitergehens. Ich bleib’ noch eine lange Weile dran, versprochen.

  1. Woke (englisch für „aufgewacht, wach; aufmerksam, wachsam“) ist ein im afroamerikanischen Englisch in den 1930er Jahren entstandener Ausdruck, der ein „wachsames“ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus beschreibt…Laut Duden bedeutet woke: „in hohem Maß politisch wach und engagiert gegen (insbesondere rassistische, sexistische, soziale) Diskriminierung“. Zudem wird der Ausdruck woke inzwischen von Konservativen und Rechten als anti-wokeness politisch instrumentalisiert und – wie die Ausdrücke politische Korrektheit, Cancel Culture und Social Justice Warrior – mit negativer Konnotation zudem häufig sarkastisch verwendet, um Linke und ihre Ziele abzuwerten. Wikipedia.org
  2. Der Begriff Aufklärung bezeichnet die um das Jahr 1700 einsetzende Entwicklung, durch rationales Denken alle den Fortschritt behindernden Strukturen zu überwinden. Wikipedia.org
  3. Moderne bezeichnet historisch einen Umbruch in zahlreichen Lebensbereichen gegenüber der Tradition, bedingt durch Industrielle Revolution. Wikipedia.org
  4. Im engeren Sinn ist die Postmoderne eine umstrittene politisch-wissenschaftlich-künstlerische Richtung, die sich gegen bestimmte Institutionen, Methoden, Begriffe und Grundannahmen der Moderne wendet und diese aufzulösen und zu überwinden versucht.
  5. Die „Metamoderne“ als Begriff entwickelte sich zuerst unabhängig voneinander in verschiedenen Diskursen in Kultur- und Sozialwissenschaften sowie Philosophie. Inzwischen bezeichnet der Begriff auch eine sich derzeit herausbildende neue Kultur und Epoche, welche zwischen Aspekten der Moderne und der Postmoderne vermittelt, beider Vereinseitigungen bzw. Verdrängungen vermeidet und ihre progressiven Züge integriert. In diesem Sinne geht die Metamoderne über die Moderne und Postmoderne sowie beider Krisen hinaus und eröffnet neue Entwicklungspotenziale von Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Wikipedia.org
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