Eine Wolke erscheint…

Gerade zieht eine dicke Regenwolke über unseren Himmel, und ich fühle mich, als ob diese Wolke mich verschließt, mir nicht gestattet, mit der Welt um mich her im Austausch zu paktieren. Es staut sich in mir, und meine Schädeldecke scheint sich zu wölben wie ein Deckel eines Topfes, der, festgehalten von stählernen Klammern, dem Druck des brodelnden Dampfes nur langsam nachgibt. Es ist feucht und schwül, und der ständige Wechsel vom Licht der Sonne, wenn sie durch die Wolken bricht, und der Düsternis dieser Wolke, die ein Durchbrechen des Lichts verhindert, reizt die Augen, lässt sie ständig tränig feucht erscheinen.

Wie das Wetter draußen, so erlebe ich auch mein Gemüt. Die dunkle Wolke treibt auch hier ihr Spiel, lässt mich erschauern und erzittern. Es ist ungemütlich und anstrengend, diesem Wechsel unterworfen zu sein, zu vielfältig und hintergründig sind die Gedanken, alles staut sich auf, als wäre ein Abfluss verstopft. Und doch verweigert sich etwas in mir einer der Lösungen, die sich aufdrängen und sich ständig in den Vordergrund schieben, die rufen: was soll‘s, es ist doch eh egal… und es kommt doch anders, als man denkt…, und was willst du eigentlich, du bist doch…, und du musst Geduld haben…, und was sonst noch… Denn nichts ist ganz so egal, genauso, wie nichts so überaus wichtig ist, und ich fühle eine Sättigung darüber, für und wider immerzu gegeneinander aufzurechnen.

Es sollte doch ganz einfach sein, und ich höre und lese dies so oft, dass ich schon lange nicht mehr weiß, wo mir dies zu ersten Mal begegnete. Alles ist gut so wie es ist, heißt es da, und dein Problem beruht nur auf der Tatsache, dass du ein Problem siehst, wo kein Problem ist. Höre auf, das Problem zu denken, und dein Problem verflüchtigt sich wie der Gedanke, der es schuf. Das klingt paradox, und gerade daher erscheint es richtig zu sein, denn wenn die Realität nicht mehr helfen kann, erscheint das Paradoxe als sein Gegenüber doch der Lösung näher. Und doch, auch dieser Ansatz erscheint letztlich so falsch, wie er nur sein kann, denn er verschiebt alles nur ins andere Extrem, schüttet das Bad aus samt dem Kinde darin.

Was wäre eigentlich, wenn alle Ansätze zur Lösung falsch sind, es den richtigen Ansatz nicht gibt, und wenn daher genau das Falsche zu tun, immer wieder und immer wieder, erst zu der Einsicht führt, die das Problem, oder besser noch jedes Problem, für immer verbannt. Ist die Einsicht vielleicht die Erkenntnis der Unvollkommenheit und Bedingtheit des Lebens? Ist dieser sich ständig wiederholende Irrtum dem Menschsein eingegeben? Ist dies vielleicht die Lektion, die es hier und heute zu lernen gibt?. Und wenn dies so wäre, sollte dann nicht die Einstellung eines Kindes, das laufen lernt, das Vorbild hierfür sein: Lachen, wenn es steht, und weinen, wenn es fällt? Und ist Gleichmut dann nicht eine Krankheit, die Erkenntnis zu verbergen sucht, weil diese Leichtigkeit und Anstrengung, Lachen und Weinen, Freude und Leid, und letztlich alle Gegensätze einschließt?

Die Wolkendecke lichtet sich, und draußen kommt die Helligkeit der Sonne zum Überwiegen. Und auch der Druck im Kopf scheint, mit etwas Verzögerung zwar, der Helligkeit zu weichen. Ist es nicht seltsam und staunenswert, das eine vorüberziehende Wolke am Himmel das Gemüt derart verdunkeln kann, und das zwei so unterschiedliche Wesenheiten so eindeutig partizipieren. Und wenn dies so ist, wie fest und verschweißt mögen dann die vielen anderen Dinge sein, die zu unterscheiden wir gewohnt sind; und wie groß wird unsere Geduld und unser Ausharren sein müssen, um dieses letztlich zu ergründen? Ich fühle mich klein und schwach, und doch erscheint dieses mir mehr und mehr in aller Klarheit: Die große Kraft des Ganzen sollte auch mich durchfließen können, so wie diese Wolke, die, als sie mein Gemüt erschütterte, mich durchfloss!

 

HS (15.08.2000)

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