Unwissen und dessen Bezug zu Freiheit

Die Zeit

Erst im 19. JH wurde das mechanische Uhrwerk zu einem Gebrauchsgegenstand, der in jedem Haus zur Grundausstattung gehören und den Menschen helfen sollte, Verzögerungen, Wartezeiten und die Verschwendung von Zeit zu vermeiden. Und auch in der Wissenschaft generierte sich die mechanische Zeit zu einem Grundbaustein der Gesetzmäßigkeiten. Nehmen wir doch einfach einmal die wohl berühmteste Formel der Neuzeit, die aussagt, das Energie über die Multiplikation von Masse mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit definiert werden kann. Die mechanische Zeit ist dabei im Baustein Lichtgeschwindigkeit 1 enthalten. Und natürlich gibt es für den Zeitmesser vielfache Verwendungsmöglichkeiten. Er ermöglicht die Verwendung von Terminen, ermöglicht Pünktlichkeit und sorgt für eine umfassende Planungssicherheit, was technische Dinge angeht, wobei auch die Pünktlichkeit natürlich unter diese Kategorie fällt. Sie ist keine wie auch immer definierte „gute Eigenschaft“ eines zivilisierten Menschen, denn der Mensch an sich ist weder pünktlich noch zivilisiert. Das Gegenteil ist eher richtig. Die Eigenschaften, die unter diese Definitionen fallen, sind doch eher als Hemmungsmechanismen des natürlichen menschlichen Verhaltens zu verstehen. Anders ausgedrückt ist natürliches menschliches Verhalten ungehemmt und unzivilisiert, was ursprünglich ja als „frei von Hemmungen“ und daher allgemein als „stark“ angesehen wurde. Das ungehemmt agierende Mitglied einer Herdengemeinschaft, das sich rücksichtslos durchsetzt und den Schwächeren seinen Willen aufzuzwingen vermochte, wurde damals gerne als Anführer angesehen und erfreute sich so in organisierten Gruppen auch oft der Beliebtheit durch die Mitglieder. Dieses Gefüge hat sich in weiten Teilen auch bis in unsere Neuzeit erhalten. Ich komme nach diesem kleinen Ausflug zurück zum Thema. Was Zivilisation, Zusammenarbeit und eine Aufteilung der fürs Überleben wichtigen Tätigkeiten innerhalb von Gruppen ermöglichte ist die Einführung der Zeit, die sich zunächst in den Zyklen von Tag und Nacht und Sommer und Winterzeit bemessen ließ, dann wurde der Tag in Sonnenstände und die Wetterwechsel in Jahren eingeteilt und dann kam die Erfindung der mechanischen Uhr, die eine sehr stark kontrollierbare Planungssicherheit durch die Starken der Gemeinschaft ermöglichte. Stark ausgeprägt wurde diese Neuerung in der Einführung der Industriegesellschaft, die ihr pervertiertestes Maß in den Fertigungsstraßen der ersten Generation fand.

Die Frage, die hier zu stellen ist, um zur Thematik des Artikels zurückzukehren, ist doch die, ob die Zeit ein natürliches und allgegenwärtiges Phänomen oder ein ausschließlich technisches Konstrukt ist, dem keinerlei natürliche Eigenschaften zukommen. Die Frage ist nur zu beantworten, wenn wir uns die extremen Enden der Zeitvorstellung anschauen. Diese sind auf der einen Seite ein Leben ohne Zeit im Rhythmus der natürlichen Zyklen, wie wir sie heute nur noch durch Filme zu kennen glauben, und der durchorganisierten Welt der Zukunftsvisionen, die ebenfalls nur Filmen entnommen werden können. Filme aber sind in aller Regel ausgeschmückte und verdichtete Abbilder einer vorgestellten Welt. Sie sind wie Landkarten in Vergleich zu Landschaften. Und sind wir nicht gerade dabei, uns vom ersten Extrem, dem wir Millionen von Jahren erfolgreich gefolgt sind, innerhalb weniger JH ins andere Extrem zu bewegen, von dem wir (noch) keine wirkliche Vorstellungen haben können, da diese ja noch nie gelebt wurden und nur in der Vision bestehen? Also angesichts dieser Gedanken wird der Glaube an die Notwendigkeit einer mechanische Zeit als fester Baustein des Universums doch sehr fragwürdig. Die Technik unserer Zeit orientiert sich an den Gegebenheiten unseres Sonnensystems. Bereits jedes andere System, jeder andere Planet würde andere Ergebnisse liefern müssen. Kommen wir zu Kernfragen. Gibt es eine lineare Zeit nach dem Muster der Mechanik wirklich oder ist sie nur ein geistiges Hilfskonstrukt für die Organisation unserer Gesellschaftsformen? Das wir uns an Tagen und Jahreszeiten orientieren können ist sicherlich fürs Überleben hilfreich. Das ist unbestritten. Aber muss Zeit wirklich eine so fein austarierte und genau konstruierte Schablone erzeugen, nach der ein Leben ausgerichtet sein muss. Und wo sind die früher erzwungenen Wartezeiten hingekommen, die doch immer eine Pause waren und Zeit zum Nachdenken bereitstellten, beim Arzt, beim Warten auf die Fähre, beim Warten auf die Gäste, die Freunde, auf die Briefantwort oder auf den Beginn einer erwünschten Aktivität usw. Hat nicht jeder Mensch einen eigenen Rhythmus, der sich nicht in ein Normalmaß zwängen lässt, ohne Schäden zu hinterlassen? Sind Pausen heute nicht mehr wichtig?

In meiner Vorstellung ist Zeit ein künstliches Konstrukt und bar jeglicher physikalischen Grundlagen. Mit anderen Worten: Es gibt sie nicht wirklich. Tage sind im Laufe einer Umkreisung der Sonne mit oft wechselnden Hell- und Dunkelphasen versehen. Sommer wie Winter sind selten einheitlich lang. Pflanzen blühen und treiben aus, wenn das Wetter dazu geeignet erscheint. Nichts in der Natur ist exakt und für alle gleich geregelt. Ist es daher nicht ein Unding, das wir uns einer solchen Unnatürlichkeit unterwerfen? Ein Leben misst sich nicht in Zeit, sondern in Dauer. Gleiches gilt für Wachsen und Ruhen, für Aktivität und Passivität, für Zeiten des Müssens und Wollens. Und Dauer ist niemals eingegrenzt, sondern flexibel und trägt immerzu die Form des Unbekannten. Wir wissen nicht, wie lange eine Lust dauert, wie lange ein Leben dauert oder wie bald wir müde sind und schlafen müssen? Wie lange wird ein Sättigungsgefühl anhalten und wann bekommen wir wieder Durst? Müssen wir solcherlei wirklich so exakt planen und vorbestimmen? Wäre eine Gesellschaft möglich, wo Menschen in ihrem natürlichen Rhythmus leben können, wo sie arbeiten, wenn sie Kraft und Lust dazu haben, in der sie essen, wenn sie hungrig und schlafen, wenn sie müde sind? Wir brauchen die Zeit im Bezug zu unseren technischen Errungenschaften und zur Organisation von großen Gemeinschaften. Sicherlich, aber: Das natürliche Leben bedarf der Zeit nicht. In ihr hat alles eine unbestimmte Dauer, und das würde wohl auch vollkommen genügen.

Fazit:

Machen wir jetzt mal auf die Schnelle eine Zusammenfassung des oben Geschriebenen:

Wir leben auf einem winzigen Planeten in einem unbedeutenden Sonnensystem irgendwo im Universum und schließen aus dem Wissen über unser Sandkorn auf die Konstellation der ganzen Wüste Sahara. Wir glauben an ein übernatürliches Wesen jenseits des für uns erfassbaren Horizonts in einer Parallelwelt namens Transzendenz. Wir halten uns für die Krone einer Schöpfung, über die wir nachweislich nichts wissen können und leiten daraus den Herrschaftsanspruch über die Welt ab. Wir wissen nichts über das Leben, die Materie und den Geist, haben aber klare Vorstellungen, wie selbige zu handhaben seien. Unser Wissen besteht aus Geschichten, die keine eindeutigen Wahrheiten abbilden können und trotzdem stellen wir dieses Unwissen niemals in Frage. Weiterhin haben wir Bereiche des Geistes (Unbewusstes) definiert, von denen wir nichts wissen können, aber arbeiten damit, glauben alles über den Tod zu wissen und lassen uns gegen unsere natürliche Bedürfnisse von einer technischen Zeit traktieren, die uns das Leben vermiest und die Gesundheit ruiniert. Und über all das wollen wir weder diskutieren noch irgendetwas davon ernsthaft in Frage stellen. Sind wir also wirklich das höchstentwickelte Lebewesen dieser Erde? Jeder Wurm im Kompost verhält sich doch intelligenter, denn: Dieser lebt strikt und frei nach seinen in ihm angelegten Bedürfnissen. Er ist frei von Unwissen. Der Mensch aber lebt nach wie vor in einer geistig ummauerten Höhle wie die des Platon. Von Freiheit findet sich hier wie dort aber keine Spur. Daher glaube ich zumindest gerade jetzt, das…:

…ein Wissen denkt und redet, die Freiheit aber …, die schweigt und lebt. (HpS)

  1. E=m*c2; c=300000 km/s; s: Sekunde
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