„Warum ich tue, was ich tue“, und „warum ich nicht ein anderes tue, was ich durchaus auch könnte, weiß ich nicht. Ich kann nichts dagegen tun, aber immer wieder, unregelmäßig und buchstäblich aus dem Nichts heraus taucht bei mir die Frage auf „was ich tun könne“. Ich habe keine Ahnung, warum diese Frage auftaucht, worin sich dieses Auftauchen begründet und warum sie mir gerade jetzt in den Kopf schießt, wo doch auch so ganz andere Gedanken möglich wären.
Es gibt durchaus Erklärungen. Sie sind rational begründet, angesehen und gelten als berechtigt, sind allgemein verständlich und doch, sooft ich sie mir neu erkläre, sie befriedigen mich nicht. Da ist zunächst der gerne gebrauchte Hinweis auf das Unbewusste, auf die nicht verarbeiteten Erinnerungen, die Bilder oder Geschichten und den Versuch, diesen Missstand zu beheben. Dann finde ich auch gerne die gesellschaftliche Rolle, die ich, erst hineingeboren und später hinein gearbeitet, nun einmal zu spielen habe. Dann gibt es noch Erklärungen, die einen Gott oder ein Schicksal herbeizitieren, die meine Rolle so festgelegt haben, wie sie nun einmal erscheint.
Keine dieser Erklärungen lässt mich heute einen Schlusspunkt setzten unter diese Fragen. Dabei wäre es doch so einfach und auch so normal, dies einfach zu tun. Viele Menschen tun es, und sie stammen aus alle Schichten, wie unschwer in Talkshows und sozialen Netzwerken zu erlesen, zu erschauen und zu hören ist. Viele scheinen zufrieden zu sein und manche sind fast ein wenig stolz, wenn sie die Auswahl ihrer Entscheidung einer breiten Zuhörerschaft zum Besten geben dürfen. Viele scheinen auch glücklich zu sein mit ihrer Antwort. Warum kann ich mich dann nicht auch entschließen, endlich auch diese Auswahl zu treffen und ebenfalls glücklich zu sein? Macht es aber wirklich glücklich, wenn man sich entschieden hat? Was ist mit dem Verlust dessen, gegen das man sich entschieden hat. Was ist mit all den verpassten Gelegenheiten, den nicht wahrgenommenen Möglichkeiten und den vielen ungeschlagenen Schlachten?
Was wäre eigentlich, aus einer widersprechenden Perspektive betrachtet, wenn es zu dieser Frage nach dem „warum …“ gar keine richtige Antwort gäbe. Was wäre, wenn diese Frage gar nicht beantwortet werden will, sondern sich immer nur dann in einen Kopf schöbe, weil die gleiche Frage zu einer anderen Zeit immer auch eine andere Antwort erhalten kann? Sie wäre damit zu keiner Zeit abschließend festlegbar, wäre nicht beantwortbar. Was heute noch eindeutig und klar mit „nein“ beantwortet werden muss, kann morgen bereits durch andere Voraussetzungen, durch Entwicklung und neue Perspektiven zu einem eindeutigen „ja“ herausfordern. Vielleicht ist es besser, sich nicht wirklich grundlegend zu entscheiden, sondern die Entscheidungen nur so weit zu setzen, wie es unbedingt notwendig erscheint. Und morgen wäre dann eine neue Entscheidung möglich?
Unentschiedenheit erscheint anstrengend, gewiss, und Entschiedenheit fordert wahrscheinlich Opfer, sicher. Und stehen sich diese Möglichkeiten wirklich so unversöhnlich gegenüber? Zu dem „ja“ und dem „nein“ könnte sich ein „weder noch“, vielleicht auch noch ein „sowohl als auch“ gesellen, und als letzter Ausweg bliebe noch, der Frage zu widerstehen und sie offen stehen zu lassen, sie zu ignorieren oder gar auszusitzen. Und mehr Möglichkeiten zu gewinnen, so sagt man oft, ist doch immer auch ein Vorteil. Allerdings wäre die Welt weniger übersichtlich, noch schlechter überschaubar und vielleicht sogar ein wenig verwirrend.
Ich würde mich dabei entschließen müssen, einen Mittelweg zu gehen, manches zu entscheiden, manches aufzuschieben, hier zu kämpfen und dort vorsichtig zu sein, hier zu fordern und dort nachzugeben. Und gut zu vermitteln wird dieser Mittelweg auch nicht sein, lieben Menschen doch Klarheit und Kontinuität. Und doch, dieser dritte Weg hat seinen ureigenen Charme.
Nun denn, heute werde ich diesen grauen Weg wohl wieder gehen, und morgen?
Morgen ist nur … ein anderer Tag.