Innerer Widerstand, ritueller Raum, Funktionalität und Entspannung

In meiner Weltanschauung ist eine wichtige Beobachtung, das viele Räume der modernen Lebensgestaltung [1. Arbeit, Freizeit, Spiritualität, Familie, Versorgung] mit Stress einhergehen und dieser Stress hauptsächlich und massiv mit einem kulturell erzeugten inneren Widerstand verbunden bzw. verursacht wird. Dieser innere Widerstand kommt nicht von außen auf den Menschen zu, sondern ist ein selbstgemachtes eigenes Verhalten, das zwar normal sprich üblich zu sein scheint, aber doch immer noch als gestaltbar verbleibt, da es sich um eine geistige Erscheinung handelt.



Zugrunde liegt diesem Gestaltungsmotiv die Tatsache, das mit Sicherheit die meisten Menschen moderner Zivilisationen nicht bereit sein werden, die arbeitsteilige Gesellschaftsorganisation zu verlassen und zur Selbstversorgung zurückzukehren. Und wenn diese Entscheidung so getroffen wurde, ist es unabdingbar, die Nachteile der Arbeitsteilung in Kauf nehmen zu müssen. Nicht jeder Mensch eignet sich zu einem Anführer, zu einem gefeierten Sportler, einem Kämpfer, Musiker oder Schauspieler, sondern die große Mehrheit wird sich in der großen Masse der mittleren Angestelltenklasse wiederfinden, die meist weder Beifall noch Kritik erfährt und daher oft als selbstverständlich empfunden wird. Die Arbeit als nicht-selbständiger Angestellter umfasst Tätigkeiten, die sich überwiegend nicht auf eine eigene Entscheidungsfreiheit gründen, sondern die zu einem großen Teil fremdbestimmt ist und die daher zumindest die Gefahr erzeugt, gegen den Willen und die Überzeugungen des Mitarbeiters zu verstoßen. Das dann die Tätigkeit einen inneren Widerstand zu erzeugen vermag, verwundert nicht. In diesem Gefüge entsteht dann der natürliche Wunsch nach einer Belohnung, wenn man sich oft gegen seine Überzeugung heftig engagiert muss, der oftmals ebenfalls nicht in Erfüllung geht. Eine daraufhin in Anspruch genommene Ersatzbefriedigung kann diesen Mangel oft nicht ausgleichen und trägt somit zu zusätzlicher Not bei. Nur sich dieser Neigung bewusst zu sein reduziert diesen Mangel auf ein noch erträgliches Maß. Ohne das entsteht eine sich aufaddierende Belastung, die bis zum Ausbrennen gehen kann. Die Gründe für diese Widerstände sind vielfältig. Da sind natürlich die großen Träume der Menschheit zu nennen, in denen jeder einerseits durch sein Leben ein Vermächtnis zu hinterlassen habe und natürlich andererseits auch seine Pflichten zu erfüllen hat. Da die Pflichten besonders in der Familie mit Kindern und Enkeln einen großen Raum einnehmen, sind sowohl Kraft als auch die Möglichkeiten, die es wahrzunehmen gelte, um Erfolg zu haben, oft nicht ausreichend ausgestaltet. Meist kostet eine Karriere, so nennt man doch wohl „ein Vermächtnis gestalten“ heute, sehr viel Raum und geht daher zu Lasten der weiteren Lebensräume. Freizeit, Familie und Spiritualität werden darunter wohl zu kurz kommen müssen. Auch ist ein hoher Bekanntheitsgrad, wenn man das Leben eines VIP einmal genau anschaut, auch sehr anstrengend und aufwendig. Je höher der Aufstieg desto geringer werden die verfügbaren Räume sprich „desto dünner wird die Luft“, und oft trägt nur der glückliche Umstand, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein mehr zum Erfolg bei, als das ein aufwendig unterhaltenes Beziehungsgefüge oder großer Fleiß zu leisten vermag. Also versuchen wir, überall gleichzeitig zu sein. Um Erfolg haben zu können muss es einerseits eine Gelegenheit gegeben haben und muss ausreichend Zeit zur Wahrnehmung der Gelegenheit zur Verfügung gestanden haben. Die benötigten Fähigkeiten bilden sich dann oft schon durch ein Tun mit Begeisterung heraus. Ein ersehnter Wunsch ging ja in Erfüllung, die Begeisterung ist zunächst groß und das anschließende Tun geschieht nahezu von selbst. Der Neurobiologe Hüther bestätigt das, indem er sagt, das mit Begeisterung nahezu alles bis zu einem gewissen Grad erlernbar sei. Wird das dann noch durch eine Begabung erweitert, von der wir meist selbst noch nichts wissen, weil sie tief im Konzept der Kultur vergraben war, wird das Ergebnis noch gewaltiger sein. Aber seien wir ehrlich, große Begabungen sind so selten wie gute Gelegenheiten. Sie anzutreffen in einer zivilisierten Gesellschaft wird ohne Glück selten gelingen. Solcherlei tritt meist erst hervor, wenn die Zeit reif dafür ist. Das aber ist nicht planbar. Die Frage, wie lange das Lebensgefühl, aufgestiegen zu sein, anhalten kann, stellt sich jedoch bald immer wieder. Selbst der große Manager ist ja nie frei in seiner Entscheidung.

In meiner Vorstellung und meinem Leben sind es die Praktiken der Spiritualität, die den ganz oben genannten Stress eines zivilisierten Lebens auf ein erträgliches Maß zu reduzieren vermögen. Da wären zum Beispiel in meinem Fall und heute zu nennen die tägliche Praxis der Meditation und des Yoga. Auch muss ich eingestehen, das auch die Kampfsportarten eine solche Praxis darstellen können, wenn sie denn sorgfältig unterrichtet werden. Das ist leider in nahezu allen Sparten der Spiritualität nicht immer gegeben. Mein Einstieg in die Spiritualität vollzog sich der Reihe nach durch Karate, Yoga, Mediation, Zen. Karate erbrachte mir Souveränität und ich liebte darin die Praxis der Kata. Mit dem Kampf Mann gegen Mann hatte ich nie so viel am Hut. Im Yoga stand für mich mehr die Körperarbeit sprich Asana und Pranayama im Vordergrund. Die meditativen Praktiken, wie sie der Yoga lehrt, fanden bei mir wenig Zuspruch. Diese allerdings wurden mir zugänglich durch die Praxis des Zen, wobei auch hier für mich deutliche Einschränkungen zu nennen sind. Mit den Praktiken Atemkonzentration, Hara und Koan kam ich nicht wirklich gut zurecht. Erst die Form der „Stillen Gelassenheit“ im Zazen erfüllte hier meine Erwartungen. Soviel zu meiner Biographie. Was aber sind die genauen Motive, die eine spirituelle Praxis so wirksam gegen Stress machen. Das zu erklären möchte ich nachstehend versuchen.

Jeder Mensch an sich ist eine unverwechselbare Individualität. Jeder ist anders als alle anderen unserer Art und daher einzigartig. Das gilt auch für Zwillinge. Daher kann ich natürlich keine Anleitung geben, wie bei Xy ein Stressabbau oder eine -reduzierung gelingt. Aber ich kann am Beispiel meiner Person einige Fingerzeige geben, wie so etwas geschehen könnte und wie man auch als rational geprägter Mensch an eine solche Aufgabe herangehen könnte. Wie bereits eingangs zu sehen beschränke ich mich auf die fünf oben genannten Lebensbereiche, um den Artikel in einer brauchbaren Länge halten zu können. Auch sind diese Bereiche nicht immer genau abgetrennt anzutreffen. Das kann hier und da hilfreich sein, ist aber nicht grundsätzlich erforderlich. Auch Kollegen dürfen Freunde sein, Verwandte können als Mitarbeiter gelten und natürlich kann ein Beruf auch zu einem Hobby sprich einer Leidenschaft werden. Das muss letztlich jeder selbst für sich entscheiden. Ich selbst hatte mich für mein Leben für eine weitgehende Trennung der Lebensbereiche entschieden. Warum und wieso ist Thema eines anderen Artikels, der noch nicht geschrieben wurde. Für die Beschreibung im Folgenden ist diese striktere Trennung allerdings hilfreich.



In meiner Vorstellung entsteht Stress nicht so sehr durch große Belastungen, sondern mehr durch den Widerstand, der diesen Belastungen, jetzt als zu bewältigende Aufgaben bezeichnet, entgegensteht. Und in nahezu jedem Lebensraum kann Stress entstehen. Das wir solcherlei Gesundheitsschädigungen auf der Arbeit oder durch Pflegeaufgaben in der Familie entwickeln, scheint klar zu sein. Das aber auch die Räume Spiritualität (Yoga, Zen), Freizeit (Hobby, Sport, Freunde) und Versorgung (Einkäufe, Wohnung, Haus, Selbständiges Einkommen) Stress hervorrufen können, ist uns nicht immer bewusst. Stress in verschiedenen Räumen gleicht sich nicht aus, sondern muss addiert werden. Häufig sehe ich, das Menschen versuchen, Stunden der Bildschirmarbeit durch abendliches sportliches Laufen im Feld auszugleichen. Ich glaube nicht, das das so einfach geht, wie man sich das gerne vorstellt, es sei denn, das Laufen ist mit Freude verbunden. Langes Sitzen am Bildschirm kann meiner Ansicht nach nur gezielt ausgeglichen werden, wenn zwischen dem Sitzen immer mal wieder aufgestanden und gegangen wird, sei es, um etwas zu trinken oder auch nur, um einmal um dem Block zu gehen. Im Zen wird das z.B. so gehalten, das zwischen den Sitzungen in der Regel immer meditativ gegangen wird. [2. Nach 30 Minuten sitzen sollte mindestens 5 Minuten gegangen werden. Das das nicht immer so regelmäßig geht, ist klar, aber man könnte es doch versuchen: Das geht nämlich dann immer, wenn gerade mal kein Meeting stattfindet.] Eine einseitige Belastung kann nicht durch eine andere einseitige Belastung ausgeglichen werden. Das sind dann zwei einseitige Belastungen, die sich für den Körper addieren. Der menschliche Körper ist ein Organismus und keine Maschine. Seine Grundfunktion ist Anpassung an das gewohnte Umfeld. Eine Maschine kann in der Garage oder dem Keller geparkt und nach Monaten reaktiviert werden, so denn vor Rost und Staub geschützt wird. Ein Organismus über Tage und Wochen abgestellt und dann aktiviert ist nicht mehr der gleiche wie zuvor. Das zeigen schon langwierige Unfallverletzungen, bei denen eine Extremität (Arm, Bein) über eine Dauer stillgelegt werden muss. Alle Körperfunktionen werden sich dabei verändern.

Dann habe ich mir angewöhnt, die Räume, wo meine Tätigkeiten stattfinden, funktional und angemessen auszustatten und weitgehend zu trennen. Vor dem Rechnerplatz steht ein geeigneter Stuhl, der Platz ist ausreichend beleuchtet und wird so es denn möglich ist nur für diesen Gestaltungsbereich genutzt. Man kennt das aus der Spiritualität und der Religion. Die Kirche und der Tempel werden so genutzt, auch für die Yogapraxis und die Meditation wird ein fester ausschließlich genutzter Platz empfohlen. In der Werkstatt wird gebastelt, repariert und gebaut, in der Küche wird gekocht und im Wohnzimmer wird gewohnt, was letztlich als Freizeitgestaltung gesehen werden sollte. Räume, die so gezielt einseitig genutzt werden, wirken auf den „unbewussten“ Geist wie rituelle Räume. Sobald sie betreten werden, ist die Stimmung der Aufgabe entsprechend ausgeprägt. Ich habe nie eine Kirche oder ein Zendo betreten, ohne von der diesen Räumen eigenen Stimmung betroffen gewesen zu sein. Man muss dafür auch nicht immer einen eigenen abgeschlossenen Raum haben, denn auch die Einrichtung von Teilräumen (Essecke, Yogaecke, Meditationsplatz) kann/sollte entsprechend gestaltet sein. Ein Kinderzimmer z.B. verliert seine solch Zimmern eigene „Energie“, wenn sie von Erwachsenen zur Arbeit genutzt werden. Räume sind Rückzugsorte, wo entweder gearbeitet, geturnt, meditiert, gespielt, gewohnt, gekocht oder gebadet wird. Das ist seit Jahrhunderten doch ein Stück Kulturgut und sollte nie vergessen werden. Zivilisierte Menschen brauchen diese Rückzugsorte, um gesund zu bleiben. „In meiner Badewanne bin ich Kapitän“, im Kinderzimmer bin ich spielendes Kind, im Arbeitszimmer arbeite ich und die Küche ist zum Kochen da. Es gibt sogar Esszimmer, Schlafzimmer, Essecken, Kochnischen und Spielzimmer. Warum nennen wir die sonst so? Unsere Lebensräume sind Gestaltungsräume. In sie ziehen wir uns zurück, um das zu tun was dort getan und erreicht werden muss. Wenn alles für alles verwendet wird, wenn alles durchmischt ist und alles gleich ist, können wir uns nicht mehr zurückziehen und entspannen. Dann brennen wir aus, weil wir nicht mehr abschalten können. Schon durch die Digitalisierung (Handy, Laptop, Chat) sind wir doch immerzu erreichbar, gleichgültig, wo wir uns gerade befinden. Und ich beobachte in meiner Umgebung, das kein freier Tag vergeht, ohne das Arbeit oder familiäre Pflichten ständig an der Entspannung nagen. Am Arbeitsplatz entspannt es sich nicht gut, die Werkstatt ist nicht zum Chillen geeignet und im Krach der Straße meditieren nur wirkliche Profis gut und tief. Alles und jedes zu vermischen ist Unsinn. Immer bereit zu sein für Leistung, Menschlichkeit und Aufmerksamkeit im Sozialgefüge ist ebenfalls Unsinn. Wir brauchen Erholung und Entspannung von den tausendfach geforderten Konzepten, und dafür gibt es Rückzugsräume und Ruhekissen, wo kein Handy klingelt und niemand stört. Diese müssen nämlich, um wirken zu können, ein Ausklinken für eine Dauer ermöglichen. Sie zeitigen, so sie denn gewohnt und ausschließlich dafür genutzt werden, einen Stimmungswechsel, der die Freude am Leben wieder aus der Verbannung holen kann. Rückzug bedeutet immer sich auszuklinken und für eine Weile oder Dauer bei sich selbst zu verweilen. In Gesellschaft und fremdgesteuerter Beschäftigung bist du immer eingebunden in eine Form, die nicht durch dich allein bestimmt ist. Bei sich selbst sein zu können ist die Basis jeder Entspannung, selbst wenn es nur für eine kleine Dauer stattfinden kann. Nur dann kann alles sein, so wie es für dich sein sollte. Nur dann bist du -vielleicht nur für einem Moment- frei.