Eine EINSICHT fürs 70te Lebensjahr
An einen Wochenende des Allein-Seins, meine Partnerin war am Wochenende nicht zu Hause, bemerkte ich zum ich weiß nicht zum wievielten Mal schon, aber selten so deutlich, das das Leben, so wie ich es führte und es gewohnt war zu leben, nicht so ausgeglichen und frei war, wie ich es mir dachte. [1. Für die, die mich nicht kennen: Ich vollende gerade das sechste Jahr meiner Verrentung, habe gerade mein 70. Lebensjahr angefangen und verfüge über ein ausreichendes (?) bedingungsloses Einkommen namens Rente, für das ich 50 Jahre lang eingezahlt habe.] Und das hatte wohl mit der Gewohnheit zu tun, feste immer wiederkehrende Tätigkeiten auszuführen. Das geht vom Aufstehen zur gewohnten Zeit, der Einnahme meines Morgenkaffees verbunden mit der Lektüre der aktuellen Nachrichten und den darauf folgenden vier Meditationsrunden. Das Vormittagsprogramm erstreckt sich somit über ca. 5 Stunden. Danach beginnt das Warten auf die Mittagspause meiner Partnerin aus dem Home-Office [1. Neudeutsch für: Zu hause arbeiten…], um gemeinsam das Mittagessen einzunehmen. Wenn sie dann wieder ihren Arbeitsplatz zu Hause aufsucht, beginnt der kleine immer wiederkehrende Anteil an Hausarbeit. Beginnend mit Ab- und Aufräumen der Reste der Mittagspause, der Müllentsorgung und der Aufgabe, leere Wasserflaschen in den Keller und gefüllte Flaschen mit nach oben zu bringen. Ab und an ist dann meine Wäschetonne voll und Waschen und Aufhängen ist angesagt. Hier und da sind dann noch Besorgungen zu machen, um Kühlschrank und Vorratskeller auf dem Stand zu halten. Das alles ist eingebettet in einen dichten Terminkalender, der durch meine Nebentätigkeit des Unterrichtens von Yoga und Gymnastik gestaltet ist. Das ist das einzige Element, das den bereits genannten Zeitplan zu konterkarieren vermag. An einem Wochentag verbringe in den Vormittag in der Turnhalle, An vier Tagen bin ich am frühen Abend für Unterricht unterwegs, dazu kommen ein Massagetermin, Amts- und von Zeit zu Zeit auch Arzttermine. Dazu gibt es kleinere feste Termine, darunter zwei Vormittage für die monatlich zweimalige Seniorenwerkstatt und hier und da eine Stunde mit Einzelunterricht. Und natürlich kommen für mich Zeiten des Lesens dazu, wobei Sachbücher über Politik, Philosophie und Meditation das Gros stellen. Die Reste der Abende verbringen meine Partnerin und ich dann gemeinsam. Irgendwann so gegen Mitternacht ist dann Bettruhe angesagt, und am morgen beginnt der Trott von Neuem. Nun gut, das klingt nach einem gut ausgefüllten Leben, ist es gefühlt aber nicht, oder…? Das ist die Frage, die es zu beantworten gilt.
Warum kommt diese Frage auf? Nun, für die Zeiten des Unterrichts ist die Rolle des Übungsleiters vorherrschend. Nach vielen Jahren Übung in diesem Metier geht das mehr und mehr ohne großes Nachdenken und Planen-müssen vor sich. Das gilt auch für die Hausarbeiten, den Massagetermin und das Einkaufen. Überhaupt scheint außer den Urlaubsreisen so ziemlich alles in Routinen abzulaufen, selbst das Lesen macht da keine Ausnahme. Lediglich zwei oder drei Autoren stellen da eine Ausnahme, vermochten sie mich doch hier und da zu überraschen und mein Interesse zu wecken. Doch auch deren Bücher sind bald aufgebraucht. Unterhaltungen mit Mitmenschen, die meist am Rande meiner Aktivität auftreten, sind meist sehr spärlich und regen mich selten an, da sie immerzu die gleichen Themen und Problemstellungen beinhalten, Problemstellungen besonders, die sich bei den gleichen Menschen immerzu wiederholen, im Kreise zu drehen scheinen und selten als zielführend sich ausweisen. Die sprichwörtlichen 50 Floskeln, die eine Unterhaltung im Alltag oft zu beherbergen scheinen, beschreiben das meist ausreichend und werden zu meiner immer wiederkehrenden Überraschung von vielen sogar wohlwollend verwendet und aufgenommen. Manche davon verstehe ich zwar nicht, aber so scheint es wohl üblich zu sein. Nun gibt es sicherlich Ausnahmen, aber die sind eher eine Ausnahme als die Regel.
Meine Zeilen bis hier scheinen aufzuzeigen, das meine große Frage mit dem Wort „Langeweile“ durchaus gut beschrieben werden könnte. Vieles von dem, was mich alltäglich erreicht, ist so gewohnt und oft sogar so selbstverständlich, das Denken oder Planen gar nicht notwendig wird. Die Reaktionen erfolgen automatisch und mehr oder weniger ohne mein Zutun. Es bleibt immer weniger hängen, füllt keine der von mir ersehnten Zeiten der Nachdenklichkeit. Lediglich wenn hausintern größere Reparaturen anstehen, wenn Neuanschaffungen notwendig und dazu Recherchen und Besorgungen gemacht werden müssen, ist die Zeit in meiner Wahrnehmung kurz mit Sinn erfüllt. Aber auch diese sind meist begrenzt und nach und nach fallen immer weniger davon an. Mittlerweile halte ich die Erledigung von Aufgaben sogar in der Schwebe, weil nach deren Ende sich die Zeit wieder nicht mehr so recht zufriedenstellend zu füllen vermag. Soweit der Alltag.
Hin und wieder ist es an der Zeit, sich wieder einmal einen Überblick über die Baustelle „Ich“ zu verschaffen. Und da es hierzu einer mehr als üblichen Klarheit bedarf, begann ich zunächst einmal mit einer Beschreibung des Alltags, wie er sich mir auf dem Termin- und Arbeitskalender anbietet und der Gefühlslage, mit der diese Vorgabe sich ausschmückt. Wenn ich meine Alltagswelt mit einem Wort beschreiben müsste, würde ich das Wort „vollzogene Konzepte“ verwenden müssen, Konzepte, die sich zu einem Automatismus verdichtet haben. Es stellt sich die Frage: Wäre es nicht nutzbringend und vielleicht auch etwas aufregender, sich aus diesen Konzepten zu befreien und einfach zu beginnen, anders zu leben? Nun sagt mir der Verstand, das das andere Leben sich über kurz oder lang ebenfalls zu Konzepten verdichten muss. Und dann geht es, anders ausgeschmückt zwar, wie zuvor auch schon von Neuem los. Nur in der Zwischenphase, wo das Alte wegbricht und das Neue beginnt, würde sich eine kurze, weniger Konzept-belegte Zeit anbieten. Wie lange würde das dauern: Ein Jahr vielleicht, oder zwei…? Und die Fragen stellen sich: Was ginge verloren? Was würde gewonnen? Wie groß wären die Opfer? Wie groß wäre der wie immer geartete Nutzen? Das aber sind Fragen, die sich zielführend nicht werden beantworten lassen.
Eine andere gedankliche Konstruktion drängt sich mir daher auf, um die dunkle Tiefe der vor mir liegenden Analyse zu durchdringen. Sie würde sich mehr mit einer Prozessentwicklung als mit Kausalitätsbetrachtungen beschäftigen müssen. Dieser Prozess läuft genau genommen schon nahezu 70 Jahre und er wird wie auch immer gefüllt weiterlaufen bis zur letzten Reise, die wohl jeder Mensch antreten muss und deren Ziel im Ungewissen liegt. Darüber Betrachtungen anzufertigen, wie das die Religionen seit ihrem Bestehen tun, finde ich müßig. Es ist und bleibt ungewiss, was folgt, und ich stehe seit langem schon zu der These, das alle Problemstellungen, die nicht lösbar sind, in einer konzeptfreien Offenheit verbleiben sollten. Der Tod gehört letztlich ebenso dazu wie auch die Frage nach dem „Sinn des Lebens“ hier und heute. Ich komme daher zurück zum Leben und lasse das, was nicht gelöst werden kann, als „nicht lösbar“ stehen.
Was braucht der Mensch in Zeiten der Zivilisation zum Leben? In der Regel fallen da neben Essen, Trinken und dem schützenden Dach über dem Kopf noch unzählige andere Dinge ein. Ich spreche hier von dem Standard, der innerhalb einer Gesellschaft zu einer der Voraussetzungen gehört, um gesellschaftlich anerkannt zu sein. Ist aber Anerkennung durch das Umfeld seines Lebensbereichs ein Grundstock, auf den nicht verzichtet werden kann? Es gibt Arme, Alte und Kranke, die dieser Anerkennung nicht oder zumindest nur begrenzt teilhaftig werden, es gibt Insassen in Gefängnissen und Anstalten, denen es ebenso geht. Es gibt weiterhin Menschen beiderlei Geschlechts, die freiwillig auf diese Teilhabe verzichten und sich in Klöster und in eine Einsamkeit zurückziehen. Sie alle entbehren der Anerkennung durch einen zu erreichenden Standard der Gesellschaft. Und sie leben auch und vermitteln oft sogar dem Besucher einen relativ glücklichen Eindruck. Ist also gesellschaftliche Anerkennung wirklich ein Grundstock, auf den nicht verzichtet werden kann? Was ist sonst noch unentbehrlich für ein geglücktes Leben? Die Themen Familie, Beziehung, Karriere und Reichtum machen allein, wie allgemein bekannt, für sich genommen selten glücklich, auch wenn das niemand so richtig zuzugeben bereit ist. Viele Familien erweisen sich als kleine Katastrophen, Karrieren sind oftmals enorm anstrengend und beanspruchen so viel Zeit, das viele andere Lebensmöglichkeiten auf der Strecke bleiben, und wie viele reiche Menschen sind wirklich glücklich? Auch sind Prominent-sein, also mit einem hohen Bekanntheitsgrad durch die Medien zu leben, wie täglich im Fernsehen zu ersehen, nicht wirklich eine Grundlage für ein geglücktes Leben. Die Programme im privaten Fernsehen sprechen da Bände. Was aber fällt dem Nachdenkenden noch ein, was ein Leben heute unbedingt erreicht haben muss, um als gelebt zu gelten?
Was mich hin und wieder einholt, ist dieses bereits angesprochene Thema der Langeweile. Ist Langeweile wirklich so ein Elend, wie es in den Geschichten des Lebens [1. Die zugehörigen Narrative werden in Romanen und Fernsehfilmen herumgereicht.] oft dargestellt wird. Der Gelangweilte hat doch wohl, so er bei wachem Verstand sich erweist, alles erledigt, was der zivilisierte Alltag zu bieten hat. Er erreicht das, was sich der moderne Arbeitnehmer doch regelmäßig wünscht: Endlich mal in den Anforderungen fertig [1. In der Form, etwas für eine gewisse Zeit abgeschlossen zu haben.] zu sein. Da ist dann höchstens noch die meist kurz gehaltene Löffelliste, die es zu Lebzeiten noch abzuarbeiten gibt. Und was steht da wohl drauf, was als unverzichtbar für ein gelungenes Leben gelten könne? Ist ein gelungenes Leben nicht eher ein Leben, wo ausreichendes Essen und Trinken, ein Dach über dem Kopf und keine Probleme mit Krieg, Pandemien, Wirtschafts- und Naturkatastrophen auftreten? Ein einfaches gesichertes Leben also? Dazu bedarf es doch gerade keiner Stellung, keines besonderen Ansehens oder sogar der Prominenz. Ich habe vor langer Zeit meinen Wehrdienst als Wehrpflichtiger abgeleistet und habe noch sehr gut in Erinnerung, was mir ein Altgedienter riet, als er erfuhr, dass ich einrücken muss: „Falle nicht auf, weder positiv noch negativ, halte dich stets im Halbdunkel auf und strebe nicht nach dem Licht der Bekanntheit. So kommst du gut über die Runden.“ Er hatte recht, und ich ärgere mich noch heute, das ich mich nicht allzu genau an seinen Rat habe halten können. Ist es vielleicht in einem gelungenen Leben nicht ähnlich? Sorge für einen gefüllten Bauch, das Dach über dem Kopf und dafür, am Monatsende noch einen Euro auf dem Konto zu haben, halte dich heraus aus den vielfältig angebotenen Profilierungen und gehe mehr unauffällig durch deine Zeit. Sorge weiterhin früh genug für einen ausreichend ausgestatteten Lebensabend und riskiere nur so viel, wie du im Falle des Misserfolgs entbehren kannst. Alles andere ist nicht wirklich wichtig, sondern nur „nett“ [1. Neudeutsch wäre das: Nice to have], hat aber wie alles Überflüssige Licht- und Schattenseiten. Gibt es etwas Schöneres als auf seinem Sofa im geheizten Heim zu sitzen, und es gibt Nichts und Niemand, der dich bedrängt oder fordert? Alles ist erledigt, alle sind versorgt, alle sind zufrieden, nichts steht an. Was um alles in der Welt ist schlecht daran?
Nun, ich kann diese Frage ganz leicht beantworten. Schlecht daran ist, das mit dieser Einstellung des Lebens es nur noch wenigen Menschen gelingt, an dir und deinen Bedürfnissen Geld zu verdienen und so ihre Macht und ihren Einfluss auszubauen. Mit dieser Einstellung funktioniert das „Immer mehr, immer besser, immer schneller, immer größer“ nicht mehr, mit dem wir unsere Gesellschaft aufgebaut haben. Auch tangiert „Macht“, wer auch immer sie inne hat, dich relativ wenig. Was kann die mit Macht ausgestattete „Führungspersönlichkeit“ mit einem Menschen dieser Einstellung anfangen? Sie müsste ihm Essen und Trinken wegnehmen, das Dach über seinem Kopf zerstören und ihn seiner geringen Habe berauben, um Aktivität zu erzwingen. Dieses aber würde sich doch wohl schnell gegen den richten, der ihm diese Sicherheit genommen hat. So läuft es schon immer. Wie sagt schon das das uralte Weisheitsbuch der Chinesen so richtig:
Tao Te King, Vers 3
Bevorzuge (als Herrscher) die Fähigen nicht, und das Volk wird nicht streiten.
Gib Kostbarkeiten keinen Wert, und das Volk wird nicht stehlen.
Zeige das Begehrenswerte nicht, und das Volk wird nicht verwirrt.
Deshalb leert der Weise die Herzen und er füllt die Bäuche.
Er schwächt das Begehren und er stärkt die Knochen.
Er lässt das Volk ohne Wissen und ohne Wünsche.
Er sorgt dafür, dass die Wissenden nicht zu handeln wagen.
Indem er selbst das Nichttun übt, so kommt alles in Ordnung.
Was heißt hier, „die Herzen zu leeren“? Als Herzensfülle betrachtet man in China all die Leidenschaften, auf die wir im westlichen Europa so sehr fixiert sind: Begierde, also mehr haben wollen von Allem, Liebe, vor allem in der Form, von Anderen geliebt zu werden, Hass, also angestrengt Feindbilder pflegen, Eitelkeit, die sich dadurch ausdrückt, sich für jemand Besseres zu halten, Macht in der Form, anderen seinen Willen aufzwingen dürfen und Reichtum, d.h. sich Alles und Jeden kaufen können. Einige dieser Punkte erklären sich selbst, andere bedürfen einer Erläuterung. Wer geliebt werden möchte, ohne selbst zu lieben, pflegt nicht das, was wir per Definition Liebe nennen. Lieben heißt doch immer, ohne Erwartungen zu lieben. Ich liebe, ohne z.B. Gegenliebe zu erwarten. Auch mit dem Reichtum ist es so eine Sache. Warum sammeln viele Menschen übermäßig Reichtum an? Das macht doch eigentlich gar keinen Sinn. Auf das Viele muss ich permanent aufpassen, denn es facht den Neid anderer an. Viel zu haben bedeutet doch auch, sich um die ganze Habe immerzu kümmern zu müssen. Wäre es nicht vernünftiger, gerade soviel zu haben wie man braucht, und mit dem Zu-viel einfach anderen zu helfen, die nicht das Glück hatten, erfolgreich zu sein. Das heißt ja nicht, das auf den einen oder anderen Luxus verzichtet werden muss. Es wäre doch schon mal ein Anfang, wenn Reiche ihr Vermögen nicht nutzen würde, um andere über den Tisch zu ziehen oder auszubeuten. Auch „Hass“ ist so ein Wort, um das Legenden sich rangen. Die wohl häufigste Hassvorstellung kommt doch davon, das eine erbrachte Liebe nicht erwidert oder enttäuscht wurde. Wie bereits angemerkt war das wohl von Anfang an keine Liebe. Wenn nichts erwartet wird, kann auch nichts enttäuschen, kann Liebe nicht in Hass enden. Der zweite Hassblock hat doch stets wohl die zum Ziel, die andere Vorstellungen, Meinungen, Vorlieben haben oder einfach nur anders aussehen. Ich persönlich bin schon der Ansicht, das man andere Menschen nicht unbedingt mögen muss, aber hassen? Das geht doch nur gegen die eigene Gesundheit, denn Hass ist ein Gift, das den Geist verklärt und unwirklich werden lässt. „Die Herzen zu leeren“ heißt also, sich von Leidenschaften zu befreien. „Die Herzen zu leeren“ bedeutet letztlich, maßvoll zu leben. Manche mögen so ein Leben langweilig finden. Es fehlt wohl die Aufregung, die Anregung des immerzu Neuen, der Nervenkitzel, das Sonnen im Licht der Bekanntheit, das Erzählen können über etwas Außergewöhnliches und was sonst noch Menschen so alles anstreben. Ist das aber wirklich wichtig? Ich selbst versuche mich, von all diesen Martyrien [1. Duden: Schweres Leiden (bis zum Tod) um des Glaubens oder der Überzeugung willen.] fernzuhalten. Ich brauche weder Macht noch Reichtum, brauche keine Aufregung und keinen Nervenkitzel, hasse nicht und finde es selbstverständlich, das Andere andere Ansichten haben. Ein ruhiges, ausreichend gesichertes, einfaches Leben, seinen Bedürfnissen und Hobbys nachgehen und des Abends spät leer im Gemüt ins Bett fallen und schlafen in stiller Erwartung des neuen Tages. „Nichts, was belastet, nichts was anliegt, nichts, was getan werden muss, nichts was zu bereuen wäre“ sorgt für einen ruhigen, erholsamen Schlaf und gibt Kraft für den nächsten Morgen… Was ist falsch daran? Und die Antwort ist nicht „42“ [1. KI-Filmantwort auf die Frage aller Fragen, steht wohl für Unendlich (∞).], sorry [1. Neudeutsch: Entschuldigung, bezeichnet aber hier einen Ausdruck, der gar nichts von Schuldig-Sein beinhaltet.], sondern einfach nur: „nichts“. So einfach wünsche ich künftig und nach langem Nachdenken mein vor mir liegendes Leben zu leben!
Was aber sagt das aus über die Lebensinhalte, die vor mir liegen? Macht, Reichtum, Verantwortung für Andere und solch gewohnte Anforderungen sind es ja gerade nicht. Aber was ist es dann, was das Leben und seine Inhalte zu füllen vermag? Nun, ich werde älter. Das kann ich auch nicht aufhalten. Ich kann versuchen, möglichst gesund und geistig wohlgestaltet alt zu werden. Sicher aber ist das nicht. Woran aber kann ich mich orientieren? Wo gibt es ein Konzept dafür? Nun, es gibt keines. Diese einsichtige Antwort hat mich sehr viel Kraft gekostet. Was ich aber als Richtschnur eines konzeptfreien Lebens ansehen kann ist die Fähigkeit, meine Möglichkeiten und Disponiblitäten [1. Duden: Verfügbarkeit (?), im Deutschen wird das Wort fast nur in Verbindung mit Dingen betrachtet. Besser allerdings wäre es, die Verfügbarkeit oder die Möglichkeiten auch auf sein körperlich-geistigen Da-Seins zu beziehen und das im Vorfeld künftiger Handlungen intelligent zu berücksichtigen.] richtig einzuschätzen. Aber was heißt das genau? Mit einem gebrochenen Bein kann man keine langen Spaziergänge machen. Wenn man müde ist, ist es unverantwortlich, längere Autofahrten am Steuer eines Wagens unternehmen zu wollen. Mit 70 Lebensjahren auf dem Buckel sollte man sich körperlich nicht wie mit 30 Jahren fordern. Es geht mehr darum, angepasst durchs Leben zu gehen. Je älter der Mensch wird, umso wichtiger wird diese Fähigkeit. Wenn man alt ist, sollte man sich auch alt geben dürfen und muss sich nicht einem Jugendwahn hingeben. Ein ruhiges Leben ist für alte Menschen durchaus angemessen. Joggen [1. Neudeutsch für: Dauerlauf] weicht einem Spazierengehen, in Gymnastik und Sport verzichtet man auf Leistung, die zu leistende Alltagsarbeit geht gemütlich voran und man pflegt ein ruhiges Da-Sein. Das empfiehlt sich, weil Unpässlichkeiten in Alter länger länger dauern als in jüngeren Jahren und die Belastungsfähigkeit [1. Körperliche Kraft, körperliche Ausdauer, Aufmerksamkeitsausdauer, körperliche und geistige Beweglichkeit.] mit jedem zusätzlichen Jahr sinkt. Dem kann man nicht generalisiert entgehen. Es gibt Ausnahmen, aber irgendwann erreicht es doch wohl jeden. Da helfen weder Pillen noch Gebete. Also mein Rat: Seien Sie alt und seien Sie stolz darauf. Nicht jeder wird 70 Jahre alt, und mit 78,5 Jahren bei Männern und 83,5 Jahren bei Frauen sind die Hälfte der Menschen eines Jahrgangs in Deutschland schon gegangen. Wir können es nicht ändern und sollten daher zeitig lernen, damit umzugehen. Je früher diese Einsicht einsetzt, um so schöner gelingt der Lebensabend. Genießen sie ihn, Sie haben es sich verdient. Ich werde mir das künftig auch zu Herzen nehmen und selbst die Langeweile begrüßen. Sie hat, wenn sie nicht bekämpft wird [1. Kampf war noch nie ein Zeichen des Alters. Es ist traditionell die Weisheit und die Milde, die das Alter kennzeichnen.], durchaus ihre reizvollen Seiten.