Ruhestand und Erinnerung

Da ich selbst mich im Rentenalter befinde, in der Gesellschaft meist recht unauffällig agiere und, zumindest glaube ich das von mir so zu wissen, keine Störungsmerkmale abstrahle, hilft mir das leider nicht bei meinen jetzigen Problemfeld, das sich mit der schlichten einfachen Tatsache beschäftigt, das ich jetzt nicht mehr arbeiten muss, ich ein leistungsfreies Einkommen beziehe (Rente), mit 68 Jahren meine statistische Lebenserwartung noch 10 Jahre beträgt und mir daher so einiges an Identifikationsobjekten wegbricht, an die ich gewöhnt war und über das meine Mitmenschen überwiegend und gerne zu reden pflegen.



Sie planen dabei ihre die Zukunft in der Arbeitswelt, planen für den nächsten Urlaub (Reise oder doch nur Erholung?), es geht um die Pläne für das Eigenheim, die Probleme der Kindererziehung usw. All das aber sind keine Themen mehr für mich. All das erweckt zwar mein Interesse über die Fähigkeit zu Mitgefühl, aber es tangiert mein Leben persönlich nicht mehr so sehr. Was mich zurzeit interessiert ist vielmehr die Frage, wie ich mit der Unmenge an freier Zeit, der sehr gering ausgeprägten Fremdbestimmung (Es gibt da zurzeit nur meine Beziehungspartnerin und die Termine für Unterrichtsstunden in Yoga und Breitensport…) und den zwangsläufig sich häufen werdenden Alterserscheinung umgehen kann.

Wenn ich aus der Erfahrung heraus mir anschaue, was mir bekannte Menschen über ihre Eltern und deren Tagewerk erzählen, wenn diese in Rente gegangen sind, dann komme ich mir vor, als wäre ich gerade in einer Klischee-Küche angekommen: Von Gartenarbeit und der Pflege des Eigenheims über die Betreuung der Enkel bis hin zu Ausflügen ins Shopping-Center, vom Sportstudio über das Volksbildungsheim bis zum Radfahren, von der Digitalisierung der Dias und der Schallplatten bis zum Arbeitseinsatz beim Nestbau der Kinder ist alles in reicher Form enthalten, was als Klischee etabliert ist. Nur sind das eben keine sinnerfüllenden Beschäftigungen für mich, sondern das betrachte ich doch eher als die kleinen Alltagsdienste für mich und andere, die in einer gut strukturierten Gesellschaft eher selbstverständlich sind und nicht erst im Rentenalter angefangen werden sollten, sondern die zum gewöhnlichen Alltag auch der 40-Jährigen schon gehören müssten. Wenn ich eine tolle Schallplatte oder schöne Bilder habe, warte ich doch nicht auf meine Rentenzeit, bevor ich diese digitalisiere, nein, ich möchte sie doch schon viel früher hören und schauen können. Ein schöner Garten ist zu allen Zeiten eine tolle Sache und für Enkel und Kinder ist man eben da, wenn es angesagt ist. Nur, diese Tätigkeiten sollten nicht allein der Sinngehalt eines Ruhestandes sein, sollten nicht zum neuen Beruf werden: Statt Angestellter bin ich dann Maler und Schreiner im Dienste der Kinder, bin ich Kindergärtner, Taxifahrer und Unterrichtshilfe für Enkel, werde ich statt Bewohner eines Hauses oder einer Wohnung zu Hausmeister und Hausmädchen. Und wenn dann noch eine materielle Unterstützung der Kinder dazukommt, man sich dafür einschränken und verzichten muss, stimmt etwas mit dem Status „Ruhestand“ nicht mehr. Trotzdem scheint diese Form sehr weit verbreitet zu sein und wird nur ergänzt durch die älteren Menschen, die nichts mehr mit sich und anderen anzufangen wissen und zwischen Einkaufen, Fernseher und Sofa hin und her pendeln. Natürlich gibt es auch positive Beispiele, gibt es Menschen, die ihren Ruhestand genießen und ausreichend Sinn finden in Reisen, der Kunst und anderen Beschäftigungen. Aber meist sind diese gut situiert, sind gesund alt geworden und haben schon neben der aktiven Arbeitswelt sich mit den anderen Weisen des Tätigseins beschäftigt.

Betrachten wir jetzt einmal das Narrativ, das sich unsere Gesellschaft für den Ruhestand gegeben hat. Das zur Zeit gültige Narrativ für die wirtschaftliche Ausstattung des Lebens heißt doch: Wer fleißig ist und arbeitet, kann sich eine Rente erwirtschaften, sich etwas zurücklegen und vorsorgen für die Zeit des Ruhestandes. Dieser wird gesund erreicht und ermöglicht einen entspannten und wohlversorgten dritten Lebensabschnitt. Realität heute aber ist, das immer weniger Rentner heute schon von ihrer Rente werden leben können und das Rentner Kinder haben werden, die Unterstützung brauchen in Form von zeitaufwändigere Dienstleistungen und finanziellen Zuwendungen. Und weiterhin ist zu beobachten, das sowohl die Qualität der ärztliche Versorgung (besonders auf dem Land) als auch die Möglichkeiten, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, ständig weiter sinkt. Die Leistungen der Pflegeindustrie ist mehr als dürftig, die noch vorhandenen Einkaufmöglichkeiten in Wohnungsnähe sind bescheiden, und die Wohnungsnot im preiswerten Segment ist riesig. Das alles spricht gegen die Funktionalität, Gültigkeit des bestehenden Narratives, wie es oben skizziert wurde.

Ich bin nun seit mehr als fünf Jahren im Ruhestand, und ich muss sagen, das die neue Lebensphase mir sehr angenehm erscheint. Und ja, auch ich habe einige der oben erwähnten liegen gebliebenen Aufgaben erledigt, und so viel wie es anfangs erschien war es in Wirklichkeit ja gar nicht. Was ich allerdings bemerkt habe und was mir erwähnenswert erscheint, ist eine andere Entdeckung. Ich kann heute wieder mir wichtig erscheinende Aufgaben frei und unbelastet priorisieren, denn ich werde in meinen Arbeitsabläufen nicht von den willkürlich gesetzten Terminen anderer unterbrochen. Natürlich habe auch ich heute noch Termine, aber die sind meist fest und schon weit im voraus gesetzt, nur wenige davon sind vereinzelt oder einmalig, und nur ganz selten kommt so einer plötzlich aus dem Nichts. Ansonsten aber klingelt lang kein Telefon, es gibt keine Meetings oder andere kurzfristig nicht eingeplanten Unterbrechungen. Für diesen Text, den ich gerade hier schreibe, habe ich kein Enddatum. Ich weiß also nicht, wann ich nach dem Schließen der Datei diese wieder öffnen werde. Es ist schlicht und einfach auch gar nicht wichtig, damit fertig zu werden. Für lästige und wenig erquickende Arbeiten nehme ich mir jeden Tag einen kleinen Zeitraum. 10 Minuten lang etwas ordnen, sortieren und/oder kurz überfliegen ist keine Last, sondern eine willkommene Abwechslung zwischen Lesen, Schreiben oder anderen Tätigkeiten. Es braucht nur eine gewisse Ordnung, die daran erinnert, das da noch etwas liegt, und die ist heute mit EDV und Smartphone leicht aufzubauen. Es gibt Hilfsmittel in großer Zahl, von Erinnerungsfunktionen, Timer, Wecker, Terminplaner, Aufgabenplaner bis zu elektronischen Ablageformen ist alles massenweise vorhanden. Man muss diese nur zweckdienlich nutzen, und natürlich auch ein wenig verstehen. Was ich daher auf jeden Fall für wichtig erachte und was mein tägliches Ruhestandsleben (Das ist der Teil meiner Beschäftigungen, die nicht alltagsgebunden und langfristig terminiert sind…) mittelbar immer begleitet, ist der Zwang, ständig dazuzulernen. Die vielen neuen Helfershelfer, vom Smartphone über den Laptop bis zur Banking App und Internetaktivitäten, alles scheint ständig im Wandel begriffen zu sein und nichts kann endgültig als beherrschbar betrachtet werden, ohne dazulernen zu müssen. Beschäftigte ich mich wochenlang mit den Anforderungen, die zum Beispiel der Umstieg von Win7 auf Win10 mit sich brachte, steht jetzt schon der Umstieg auf Win11 bevor mit neuen Herausforderungen. Updates, Sicherungsmaßnahmen, Aufrüstung, Ausrüstung, nicht bleibt über einen längeren Zeitraum konstant verwendbar. Und was der Rechner erfordert, erfordern auch das Smartphone, das Smarthome und die ständig erweiterten Internet-Funktionen, und das geht von Banken, Orts-Behörden, Shops, Service-Portale, Finanzamt, Informationsbeschaffung bis zu Unterhaltung und zum „Wie geht das…“. Und das betrifft ja nur den Verwaltungssektor des täglichen Lebens. Dazu kommen Einkauf, Küche, Arztbesuche und so weiter und so weiter. Ich glaube, ich konnte verständlich machen, das immerzu lernen können/müssen eine Grundfunktion des Lebens heute darstellt. Schön ist: Ich habe mehr Zeit dafür. Offensichtlich ist, das ich älter werde und diese Mehr-Zeit auch brauche.



Dann kommt aber immer wieder der Moment, an dem ich sagen kann, jetzt habe ich meine Liste abgearbeitet, und jetzt liegt eigentlich nichts mehr an. Und so kompakt das weiter oben auch klang, dieser Zeitpunkt kommt immer mal wieder. Bei mir war das erstmals schon im zweiten Jahr des Ruhestands der Fall. Kein Buch mehr, das mich gerade interessiert, keine Verwaltungsaufgaben, die zu erledigen wären, zu kalt für den Garten und den Keller (…wo ja immer etwas zu tun ist…), die Nachrichten sind auch schon gelesen, der letzte Artikel ist veröffentlicht, nichts gibt es zum Einkaufen, nichts zu recherchieren, und auch der Alltagsmodus gibt keine Aktivitäten mehr her. Bei mir setzte dann das Grübeln ein, mit ihm die Erinnerungen an längst abgeschlossen geglaubte vergangene Tage, und damit die unverarbeiteten Emotionen (Wut, Trauer, Missbilligung), die noch immer verbunden sind. Meine Liste dieser Art ist lang. Allein die Felder, die direkt oder auch indirekt mit Mobbing, Bossing und anderen kleinen Bösartigkeiten, die mir widerfuhren, verbunden sind, füllen Bände. Das beginnt bei der Familie, geht über die Schule, die Lehre, den Beruf, diverse Vereine und Freizeitaktivitäten, Beziehungen, bis zu Schüler/Lehrer- und Vorgesetzten-Verhältnissen. Und es sind die Zeiten, die sehr ruhig sich gestalten, in denen die leidvolle Vergangenheit vieler Jahre erneut voll hoch kocht. Mir hilft in solchen Situationen die Gewohnheit, die seit mehr als 6 Jahren meinen Alltag begleitet und heute fester Bestandteil meines Tagesablaufes ist, mich hinzusetzen und zu meditieren. Die aufsteigenden Emotionen sind spannend, und sie erzählen mir eine ganz andere Geschichte, als die, die ich mir vorgestellt habe, nämlich das nichts davon so weit verarbeitet wurde, das ich frei und unbeschwert meinen Ruhestand genießen könnte. Und so habe ich mich dazu durch gerungen, in Zeiten der Langeweile mich mit diesen Themen erneut auseinander zu setzten. Dazu hole ich Erinnerungen zurück und studiere diese regelrecht mit und durch die vielen Angebote, die unsere digitale Medienwelt aus allen Fachbereichen des geistigen Lebens für uns bereit hält. Philosophie, Psychologie, Spiritualität, Ratgeber, Religion, Veröffentlichungen im Netz, Zen, Yoga und so weiter und so weiter.

Nun mag sich manch Leser fragen, warum denn so kompliziert, warum so breit gefächert und mit solch riesigem Aufwand. Ich bekomme, wenn ich über meine Aktivitäten erzähle, oftmals den wohl gemeinten Rat, doch einfach mal dieses eine Buch zu lesen. Da stünde alles drin, was ich wissen müsse. Ich habe mir dann auch schon mal das eine oder andere Exemplar gekauft, und tatsächlich, da stand auch viel drin. Nur was ich davon gebrauchen konnte, ist mit dünn nur schlecht beschrieben. Das liegt, so glaube ich zumindest, daran, das ich zu der relativ kleinen Gruppe der Einzelgänger gehöre, die statistisch heute keine Rolle mehr spielt, da die große Masse sich sozusagen sozial, offen und zumindest tolerant darstellt und nur noch für diese Gruppe Bücher, Artikel und Schriften verfasst werden. Die paar Einzelgänger, die es noch gibt, füllen keine Kassen im Medienbetrieb. Die Masse hat aber ganz andere Problemstellungen zu bearbeiten als ich. Ich habe schon viele dieser Bücher gelesen und dabei bemerkt habe, das sich da ganz und gar keine einheitliche Linie finden lässt, im Gegenteil, viele widersprechen sich regelrecht und fast alle sind mit meiner Grundeinstellung nicht kompatibel. Ich müsste mich, um das Problem zu lösen, also für eine Linie, eine Theorie, einen Glauben, ein Verfahren entscheiden. Das kann ich aber nicht, weil ich dann schon wieder sozusagen einem Verein beitreten würde, einer Gruppe oder Ansicht nachfolgen müsste, und das sorgte doch in meiner Erfahrung stets für eben die gleichen Probleme, aus denen ich doch gerade auszusteigen gedenke. Ich kann mich daher keiner Gruppe oder festgelegten Methode anschließen und sehe mich daher gezwungen, selbst und eigenständig umfassend und breit zu forschen, zu recherchieren und zu arbeiten.

Fangen wir doch einfach mal an, die „kleinen und großen Bösartigkeiten“ der Mitmenschen zu hinterfragen/untersuchen: Mobbing, Bossing und die beliebte „Üble Nachrede“. Ich sagte es bereits, mein Kontakt mit dieser Nische des mitmenschlichen Verhaltens ist lang. Wie schon erwähnt erwarteten mich diese bereits in der Grundschule, zogen sich über die weiterführenden und berufsbildenden Klassen bis ins geregelte Arbeitsleben hinein. Mit dabei und immer in vorderster Front neben Kollegen und Mitschülern: Vorgesetzte, Lehrer, Ausbilder, also Menschen, die ein Vorbild sein sollten und/oder die zumindest Weisungs-befugt waren. Und eine weitere Gruppe ist mir von der Motivation her bis heute ein großes Rätsel, nämlich die Leute, die sich zwar nicht direkt beteiligt haben, die dieser Verfolgung aber unberührt und tatenlos zugesehen haben, die genau genommen weggesehen haben. Für mich waren diese Menschen immer die schwierigste Gruppe, weil sie auf mich wie gefühllose Steine wirkten. Die Aktiven hatten wenigstens noch ihre Abneigung und ihre Schadenfreude. Das wirkte noch menschlich. Nun habe ich bis heute schon sehr viel darüber gelesen und ich muss heute feststellen, das keine der mir zugänglichen Veröffentlichungen darüber mir ein klares und brauchbares Bild zu vermitteln vermochte. Ich habe daher auch nicht vor, diesen Bildern ein weiteres hinzuzufügen. Im Gegenteil, denn das ganze Wissen darüber wird niemand helfen, mit dieser passionierten und sehr weit verbreiteten Menschheitsgewohnheit fertig zu werden. Ich habe akzeptiert, das sie da ist, das sie besteht und nicht selten zu Einsatz kommt. Und ich beschäftige mich daher nicht mehr mit den Methoden, die selbiges verhindern könnten, sondern mit den Methoden, die es zur Erwiderung gibt. Nur soviel muss zu den Gründen des häufigen Aufkommens gesagt werden, das sie meist auf einen Mangel an Menschlichkeit zurückgeführt werden können, denn sie beruhen auf Angst, Bedingtheit, mangelndem Selbstgefühl und Bequemlichkeit, und das bei allen bereits genannten Gruppen einschließlich der untätigen Zeugen, die in meinem Fall eindeutig die Mehrheit darstellten. Und eine weitere Aussage ist wichtig, da sie eine Bedingung für das Funktionieren ist: Alle diese Aktionen beruhen grundlegend auf den Prinzipien der üblen Nachrede oder sogar der Verleumdung. Das sind sogar nach dem Gesetz bereits strafbare Handlungen, die staatlich verfolgt werden könnten. Die unterlassene Hilfeleistung gehört aber leider nicht dazu, denn sie gilt nur bei körperlichen und nicht bei seelischen oder psychologischen Schäden. Schade eigentlich, denn diese Gebiete der Bösartigkeit richten weit mehr Schaden an als gemeinhin wahrgenommen wird. Wenden wir nunmehr die Perspektive und richten uns aus in die Perspektive des Opfers. Was Mobbing, Bossing, üblen Nachrede und Verleumdung gemeinsam haben ist die Fähigkeit, beim Opfer der Aktion(en) Emotionen zu erzeugen. Bei Ausbruch derselben finden sich Reaktionen von Wut, Zorn, Trauen, Niedergeschlagenheit usw. ein und gehen bis zu depressiven Störungen. Werden diese Gefühle übermächtig, werden sie sich mit größter Wahrscheinlichkeit nach bereits bei Kleinigkeiten bemerkbar machen und sie bestätigen damit die umlaufenden unwahren Behauptungen, obwohl diese zunächst unbegründet schienen. Die genannten Bösartigkeiten haben nämlich das Ziel, das Opfer zu einem Täter zu machen, der sich dann durch Aggression selbst disqualifiziert. Besonders Mobbing und Bossing machen bei gelungener Entfaltung die Opfer zu Tätern und die Täter in der heißen Phase dann zu vermeintlich unschuldigen Opfern. Diese Umkehrung macht in der Außenwirkung diese Bösartigkeiten zu einem interessanten Motiv besonders in Bereichen, in der Konkurrenz und Leistung an vorderster Stelle stehen. Mein Ratschlag an Betroffene lautet daher folgerichtig, sich nicht im emotionale Ausbrüche verwickeln zu lassen. Bleiben Sie weiter dezent freundlich, hilfsbereit und kollegial. Lassen Sie sich ihre Betroffenheit nicht anmerken. Machen sie ihre Arbeit und leisten sie das, was von ihnen erwartet wird. Nehmen sie eher ihre Wut und steigern sie mit dieser Energie ihre Arbeitsleistung. Das wird den Mob und die Zeugen ebenfalls zwingen, ihre Leistung zu erhöhen, was dieser Gruppe aber besonders schwer fällt. Sie pflegen nämlich eine andere Strategie, um ihre Leistungen präsentieren zu können, sie versuchen permanent, die Leistungsmöglichkeiten anderer zu stören, in dem sie nämlich mobben, Hilfeleistungen verweigern und nie Zeit für Hilfeleistungen haben. Seien sie also stoisch freundlich, hilfsbereit und konzentrieren sie sich auf ihre Arbeit. Sie müssen dabei nicht umgänglich sein, müssen nicht mit-sozialisieren, mit-erzählen und so weiter. Seien sie einfach genau so ungerührt wie Sie es wären zu einem unbekannten Touristen aus China, den sie bei einem Spaziergang treffen und der sie nach dem Weg fragt. Sie antworten, freundlich, wahrheitsgemäß, und gut ist. Die Mobber wird das rasend machen, denn sie erreichen ihr Ziel nicht, im Gegenteil.



So, dann gehen wir jetzt zu einem anderen Thema, das die letzte offen gelassene Frage des Mobbing-Kapitels auch noch beantwortet: die Frage nach Gerechtigkeit. Meine Antwort ist klar und eindeutig: Es gibt sie nicht, es hat sie nie gegeben und sie wird noch ein paar tausend Jahre auf sich warten lassen, wenn überhaupt. Gerechtigkeit kann nur existieren, wenn alle gleich sind, die gleiche Ausgangslage, die gleichen Chancen, die gleichen Rechte, eine vorurteilsfreie Beurteilung, eine kalt-nüchterne Sichtweise usw. Das alles zählt aber nicht zu den Bedingungen, die wir dem Menschlichen im Allgemeinen zuordnen können oder müssen. Und auch der Computer, die KI sozusagen, wird das für uns nicht richten können, denn er ist von Menschen programmiert. Gerecht erschließt sich aus dem Begriff „Recht“ und das ist stets Menschen gemacht. Auch das Recht der Religionen ist von Menschen gemacht. Ein fehlerhaftes Wesen kann keine unfehlbaren Entscheidungen treffen. Meines Wissen existiert zur Zeit keine einzige Theorie, die in der Lage wäre, eine gerechte Ordnung zu beschreiben. Immer wird es Fehler geben, immer kann irgendwer Glück haben, kann irgendwer Pech haben, gibt es mal einen echt guten Zeitpunkt und auch das Gegenteil davon. Was daher anzuraten wäre ist: „Nehmen Sie im Alter die bestehende Ordnung an so wie sie ist!“ Es gibt keine Bessere, sondern nur Andere: „Eine andere Ordnung enthält nur andere Ungerechtigkeiten, andere Probleme, andere Nutznießer und andere Opfer“. Oder anders gesagt: „Machen Sie das Beste aus dem, was ist!“ Sie haben nämlich (wahrscheinlich) nur dieses Leben. Das Nächste ist extrem unsicher, und mitnehmen dorthin können Sie mit absoluter Sicherheit nichts. Jeder, der ging, hat alles, was er besaß, hier gelassen. Also entspannen Sie sich, akzeptieren sie was ist und genießen Sie ihren Ruhestand. Niemand weiß, was morgen sein wird. Nahezu alle Revolutionen sind nach hinten losgegangen, oder anders ausgedrückt: Alle großartig klingenden Neuentwürfe einer Gesellschaft haben bisher ihr Ziel verfehlt. Das gilt in gleichem Maße für alle toll klingenden Reformen und Umstrukturierungen. Meiner Ansicht nach muss immer von jetzt und hier ausgegangen werden und notwendige Veränderungen können nur sanft und in großem Konsens mit allen Beteiligten erreicht werden. Das gilt sowohl im Kleinen als auch im Großen. Und es wäre viel zielführender, wenn wir statt mit großen Maßnahmen Gerechtigkeit schaffen zu wollen mit kleinen Maßnahmen die Ungerechtigkeiten beseitigen würden. Die Technik dazu ist, immerzu an den Rändern zu glätten. So werden die Außenränder immer schmaler, verschwinden und schaffen neue Außenränder, die zu glätten sind, und so weiter. Und Ränder bezeichnen immer beide Extreme, Reiche und Arme, Kranke und Gesunde, wenig Gebildete und Hochgebildete usw. und glätten bedeutet, den Mangel und das Übermaß zu bereinigen beziehungsweise ins Soziale einzubinden. Die Mittel dazu sind Steuern, ausreichende Pflege und Gesundheitseinrichtungen sowie das Öffnen und Fördern von Bildungsstätten für Alle.

Wenn wir heute von Neuentwicklungen in Technik, Forschung und Analyse der Gegebenheiten reden, wird nahezu immer als absolut überzeugendes Argument der Verweis auf die Wissenschaften gegeben. Blicken wir aber in der Zeit zurück und überzeugen uns von der Treffsicherheit derer, die sich zu anderen Zeiten Wissenschaftler nennen durften, dann kann dem objektiven Beobachter durchaus mulmig zumute werden. Nahezu jede Neuentwicklung, die mit Begeisterung aufgenommen und verfolgt wurde, hat später und in zunehmend kleiner werden Zeitabständen zu großen Enttäuschungen geführt. Beispiele sind die Dampfmaschine und die Atomkraft in der Vergangenheit und die digitale Revolution wahrscheinlich in naher Zukunft. Und jedes Mal war/ist der Wechsel zu und der Abschied von den liebgewordenen Errungenschaften schwerfällig und schmerzhaft. Die Wissenschaften beschreiben doch immer nur den Konsens der gegebenen Epoche, verändern sich ständig und geben nie ein klares Ziel vor. Eine einzige Entdeckung, ob innovativ oder berichtigend, und das Bild der Gegenwart ändert sich grundlegend und eine andere Zielvorstellung rückt in den Vordergrund. Und die Wissenschaften sind bis auf wenige Ausnahmen noch immer vom längst überholten mechanistischen Weltgedanken beseelt. Hier also zu glauben, ständig um die Meinungshoheit kämpfen zu müssen, ist daher nur eine verkürzte Sichtweise auf die Möglichkeiten. Niemand weiß heute, was eine gesunde Ernährung ist, was den klar zu erkennenden Klimawandel ausgelöst hat noch wie er aufzuhalten sein könnte. Niemand weiß, was in der Medizin in naher Zukunft möglich sein wird und wann wir zu anderen Planeten aufzubrechen in der Lage sein werden. Wir wissen ja nicht einmal, was Leben bedeutet, worauf es beruht und welchen Sinn es verfolgt. Und seien wir ehrlich. Jeder arbeitet mit Strom. Weiß eigentlich irgendwer genau, was das ist, was da in, über oder durch die Steckdose zu uns kommt und unsere Maschinen antreibt? Wir wissen, was es kann, aber wir wissen nicht, was es ist. Ebenso geht es uns mit unseren eigenen inneren Antrieb. Was ich damit ausdrücken möchte ist, das wir viel zu wenig wissen über unsere Welt, um überhaupt streiten zu können. Alles kann möglich sein/werden oder auch nichts von alle dem. Wir sollten zugeben, das wir nahezu nichts wissen von dem, was wirklich wissenswert und erhellend sein könnte. Die Baustellen werden immer größer und aufwendiger, und wir wissen nicht einmal, was wir da bauen. War der Anfang des Bauens nicht die wirkliche Vertreibung aus dem Paradies des Christentums? Sollten wir vielleicht nicht besser mit dem Bauen aufhören und zu leben anfangen? Ich weiß es nicht und kann es nicht verbindlich für alle favorisieren. Aber für meinen Ruhestand habe ich mir vorgenommen, genau das zu verwirklichen: Kein Bauen mehr, viel mehr Leben…

Ich hatte es zu Beginn des Artikels schon mal ausgesprochen: Leben heißt immerzu lernen, sich immerzu anpassen und den Gegebenheiten folgen. Das gilt in kleinem Maß für sich persönlich und in sehr großen Maß für ein Leben in Gemeinschaften. Und in fortgeschrittenen Altersstufen heißt das nicht immer, sich bedingungslos einzubringen und jeder noch so verrückten Zeiterscheinung nachzulaufen. Jeder kann heute frei entscheiden, wie viel Gemeinschaft er zulassen möchte und wie viel er zu geben und sich anzupassen bereit ist. Entscheidend ist hier die Freiheit zu wählen. Und hier spielt ein Wort eine große Rolle, das meiner Ansicht nach die früher hoch geachtete Ehre, die das Verhalten zu bestimmten vermochte, abgelöst hat: Toleranz. Nun ist Toleranz nicht alles gut finden, sondern leitet sich von „tolerare“ ab, was soviel bedeutet wie ertragen, erdulden und erleiden. Toleranz bedeutet, das ich es ertragen können muss, das andere Menschen in meiner Umgebung, in meiner Gemeinschaft eine andere Art zu leben bevorzugen und/oder andere Sichtweisen bevorzugen, sei es aus einer Überzeugung heraus, sei es aus Bequemlichkeit, Unwissenheit oder sogar Verblendung heraus. Wie wir oben im Abschnitt zu Wissenschaften gesehen haben, ist heute die Möglichkeit „sich in Meinungsgeflechten zu verstricken“ immer gegeben. Gerade in fortgeschrittenem Alter ist dieses „Ertragen können“ eine wichtige Fähigkeit, denn von demselben hängen in entscheidendem Maß Gaben ab, die wir im Alter brauchen. Es ist ja nicht unsere Entscheidung als Ruheständler, ob andere Menschen, Kinder, Nachbarn, Freunde, uns zu helfen bereit sind, wenn wir das mal brauchen, oder uns „weiterhin“ teilhaben lassen. Unsere Beziehung zu anderen Menschen ist der gewünschte auslösende Faktor. Und darauf haben wir genau genommen nur wenig Einfluss. Daher ist es auch für alte Menschen wichtig, zumindest den Zeitgeist, der gerade regiert, zu verstehen. Ich muss mich ihm ja nicht anschließen, aber immerzu bekämpfen sollte ich ihn auch nicht. Auch sind die Ängste und dadurch ausgelösten Kämpfe der jungen Generation echt. Sie sind überzeugt von dem, was sie da tun. Auch hier muss der ältere Mensch nicht dagegen angehen oder immerzu abwiegeln. Ängste sind echt, immer, gleich-gültig, ob der Auslöser der nahende Tod oder die ungewisse Zukunft ist. Also seien Sie tolerant und bedenken Sie: Sie müssen nicht immer und überall ihren Senf dazugeben. Reden kann durchaus Silber sein, aber Schweigen ist fast immer Gold.

Nun bin ich schon wieder auf Seite 6 (DIN A4) angekommen. Ich weiß, das viele Menschen so lange Artikel nicht lesen, und ich bedanke mich für Ihre Geduld, denn Sie sind hier ja angekommen. Mir wird bestimmt noch vieles einfallen, und wenn ich einen Sinn darin sehe, es aufzuschreiben und zu veröffentlichen, werden ich das auch tun. Also bis bald wieder einmal. Ich würde mich freuen.