Das gute, richtige und sinnvolle Leben

Die unterschätzte Frage nach dem Sinn

Immer wieder, wenn Besucher mein Büro betreten und sich dort angesichts der 1500 Bücher, die die Wände in Form von Billy-Regalen füllen, dann interessiert nach den Titeln der Werke scannen, die aufgereiht in den Fächern stehen, sehe ich oftmals die Frage auf den Stirnen aufleuchten: Wann und vor allem warum um alles in der Welt liest der dieses Zeug nur? Und obwohl mir diese Frage nicht nur selbst erschien, sondern auch schon aktiv gestellt wurde, kann ich sie nach wie vor nicht beantworten. Irgendwie sind diese Bücher [1. Es handelt sich neben Werken zu Zen, Yoga und anderen Körperaktivitäten um philosophische, psychologische, religiöse und anthropologische Sachbücher. Einige Autoren seien beispielhaft genannt: Jung, Hesse, Nossak, Brunton, Radhakrishnan, Han, Agamben, Jaspers, Sprengler, Eliade, Osho, Wilber, Foucault, Derrida, Deleuze, Neumann, Krishnamurti, Bloch. Von einigen in dieser Auswahl besitze ich nahezu jeden Titel, der auf deutsch erschienen ist, und habe vieles davon auch wenigstens einmal gelesen.] alle miteinander verbunden. Sie sind, so erkläre ich es mir heute, mittels Studium im ausschließlich häuslichen Umfeld eine der brennendsten Fragen zu beantworten, die ich mir, seit ich denken kann [2. Damit ist der Zeitpunkt gemeint, an dem ich erstmals einen stets wachsenden Zweifel bemerkte, der mir angesichts der allgemein üblichen Lebenssituation in Deutschland immer stärker ins Bewusstsein strahlte. Ich setze ihn im Rückblick so um 1990 an, da war ich Mitte Dreißig.], immer wieder stelle. Und diese Frage lautet so etwa sinngemäß und etwas provokant ausformuliert: Was soll das alles eigentlich sein hier auf dieser Welt, was wir so leichtsinnig Leben nennen? Oder allgemein formuliert wäre das die einfache Frage nach dem Sinn des Lebens.

Diese Frage nach ‚dem Sinn des Lebens‘ stellt sich eigentlich nicht ganz so einfach, wie sie hier formuliert ist. Vielmehr müsste sie heißen: Was ist das Leben selbst? und gleich darauf in der Konkretisierung derselben: Wie kann oder sollte es sinnvoll oder richtig gelebt werden in Angesicht unserer persönlichen und in der Erweiterung der globalen Situation auf unserem Planeten? Das ist die eigentliche Fragestellung, die meinem Lesen seit vielen Jahren zugrunde liegt. Man könnte auch sagen, ich suche einfach [3. einfach: Ein Wort, das ich gerne benutze, um einen Allgemeinplatz zu kennzeichnen.] nach Antworten auf meine elementarsten Fragen. Aber das stimmt so in meinem Fall nicht ganz. Denn der Zweifel ist in meiner Wahrnehmung nicht allein die Triebkraft meines Fragens, denn da sitzt tief in mir auch eine Sehnsucht, die wahrscheinlich das Ziel verfolgt, diesen bereits genannten Zweifel zu negieren. Beide, Zweifel und Sehnsucht erscheinen mir wie ein Pärchen zu sein, wo einer ohne den anderen nicht auskommen kann. Wächst die Sehnsucht, wächst auch der Zweifel, wächst der Zweifel, wächst auch die Sehnsucht: Ein Teufelskreis? Nun müsste hinter den ‚Teufelskreis‘ eigentlich ein Ausrufezeichen stehen, nicht wahr? Wieso aber steht da ein Fragezeichen? Nun, ich bin mir nicht sicher, ob Sehnsucht und Zweifel, jeder für sich allein, Bestand haben können. Ich fürchte vielmehr, das in mir Sehnsucht und Zweifel mehr eine polare Struktur aufweisen, in der der Eine ohne den Anderen nicht existent sein kann. In einer Polarität können die Elemente nicht aufgelöst werden, sondern es muss zu einer den Widerspruch übersteigenden Einigung kommen, in der nicht die Elemente, sondern der ihnen eigenen Widerspruch gelöst wird. Es erscheint mir wie die Ausführung einer Iteration, in der durch Setzung von Werten in unendlichen Kreisen und Wiederholungen sich eine Annäherung an ein mögliches Ergebnis erreicht wird. Und den Begriff ‚Werte‘ müsste ich darin durch die Begriffe Vorschläge, Theorien, Grundannahmen, Lehren, Strukturannahmen, Philosophien, Systemausarbeitungen und ähnliches ersetzen. Soweit bin ich heute in der Selbst-Erklärung meines lesenden Tuns. Ich muss dazu sagen, und das ist wichtig zum Verständnis, das ich nicht lese, um Wissen anzuhäufen. Ich kann den Inhalt der Werke, die ich mal gelesen habe, nicht aus der Erinnerung rekapitulieren. Das war niemals und ist auch jetzt nicht mein Ziel. Ich lese also nur, um für mein persönliches Denken, ohne das je irgendwo oder irgendwem mitteilen zu wollen, Anstöße zu bekommen, Schubser sozusagen, die mich in meiner oben genannten Iteration einem möglichen Ergebnis näherbringen. Nicht das ich Wissen gering schätze, das stimmt so nicht, aber ich denke und befürchte heute mehr und mehr, dass die Anhäufung von allzu viel Wissen auf der Basis einiger weniger Annahmen allein [5. Beispiele dafür sind politische Systeme wie ‚Repräsentative Demokratie‘, Sozialismus, Kommunismus, Monarchie, und so weiter.] ein Denken erzeugt, dem letztlich dann ein dogmatisches System zugrunde liegt. Und hier komme ich mit einem Grundsatz meines Denkens in Konflikt, dem einzigen, den ich bisher absolut festlegen konnte, nämlich der Tatsache, das Dogmatik und Freiheit sich unvereinbar gegenüberstehen. Zwischen den beiden ist keine Polarität möglich, die sich auflösen könnte. Da ist nur Widerspruch pur.

Die Frage nach dem guten, richtigen und sinnvollen Leben

Somit sind jetzt an dieser Stelle die Grundlagen und Erläuterungen gelegt. Ich komme also zur Fragestellung zurück, die ich diesem Artikel zugrunde legen wollte:

Gibt es ein gutes, richtiges und sinnvolle Leben, das sich in Wort und Schrift beschreiben lässt?

Nun habe ich für die Fragestellung in dieser Form eine Auswahl von drei Adjektiven eingefügt, die das Leben in einer Eigenschaft beschreiben. Ich hätte auch andere Eigenschaften auswählen können wie zum Beispiel ‚leidenschaftlich‘, ‚aufregend‘, ‚erfolgreich‘, ‚strahlend‘, usw., die grundsätzlich etwas als allgemein positiv Bewertetes angesehen werden. Wer, auf dieser Überlegung beruhte die Auswahl, fragt schon nach dem schlechten Leben, nach den ‚falschen‘, ‚sinnfreien‘, ‚kaltblütigen‘, ‚langweiligen‘, ‚erfolglosen‘ oder dunklen Seiten eines Lebens. Und doch, gibt es das gute Leben, muss es doch wohl auch ein wie immer geartetes schlechtes Leben geben, und für alle anderen Eigenschaftsworte gilt das doch wohl ebenso. Jede Aussage also, das wäre hier einmal festzuhalten, die mit einem Eigenschaftswort belegt ist, gebiert automatisch auch die Existenz ihres Gegenteils und spaltet somit, was auch immer als Objekt der Betrachtung genannt ist, hier also das Leben. Ich bin irgendwann, ich denke sehr spät erst im meinem Leben, zu der Überzeugung gelangt, das so Fragen zu stellen kein Ergebnis haben kann. Und wenn ich diese Festsetzung, was Überzeugungen immer sind, als eine der Grundlagen meines Lesens und Fragen setze, müsste ich das Gros meiner Bücher in die Tonne stecken. Denn jedes Sachbuch, gleichgültig, worüber es auch immer informieren mag, kommt irgendwann an den Punkt, wo eine Auswahl mittels Eigenschaften gesetzt werden muss.



Die Frage nach dem Leben

Formuliere ich die Frage anders, zum Beispiel, indem ich die ‚bösen‘ Eigenschaftsworte einfach weglasse, komm ich zu der Frage:

Was ist Leben an sich?

Die Ergänzung ‚an sich‘ erscheint mir wichtig, da ich mich nicht auf irgendeine eingrenzende Begrifflichkeit von Leben beziehen möchte. Das beruht darauf, das ich jedem Menschen unterstelle, eine für ihn persönlich zutreffende Definition des Begriffs Leben zu haben, und wer sich dieser Aufgabe niemals gestellt hat, wird auch diesen Artikel wahrscheinlich nicht lesen wollen. Zu dem somit formulierten Vorurteil stehe ich mit meiner ganzer Überzeugung. Ich sehe mich selbst also nicht frei von Vorurteilen, Dogmen und Setzungen. Das ist ja auch der Grund, warum mich solcherlei Fragestellungen brennend interessieren. Und daher kloppe ich meine Bücher auch nicht in die Tonne, sondern lese fröhlich weiter, um neue Anstöße und Schubser zu erhalten. Um seine eigenen Prägungen erkennen zu können, muss man sich Prägungen seiner Mitmenschen anschauen und diese dann seinen eigenen gegenüberstellen. Und wer, wenn nicht die großen Schreiber unserer Zeit, wären wohl bei diesem Vorgehen besser geeignet. Stelle ich mich der Frage nach dem Leben, komme ich nicht umhin, mir mein Leben von einem abgehobenen oder separierten Standort aus vorzustellen. Es gibt kein Schauen und Betrachten in einem immanenten Zu-Gegen-Sein, das dazu in der Lage wäre, das Ergebnis in Schriftform festzuhalten. Im immanenten Ort steht man inmitten der immerzu fortschreitenden Wandlungen, die ein Festhalten nicht möglich machen. Bevor der Schriftsatz beendet ist, hat sich schon der Ort verwandelt, aus dem heraus ich betrachte. Leben an sich lässt sich nicht festhalten, lässt sich nicht beschreiben, kann nicht fixiert werden. Was ich zum Leben an sich, das mich bewegt, sagen kann, ist, das ich irgendwann wohl darin aufgewacht bin. Ich bevorzuge den neutralen Begriff ‚aufgewacht‘, da ich ‚ins Leben hinein geworfen‘, ‚in der Selbstlüge gebunden‘ (Sartre) oder ‚zur Immanenz verdammt‘ (Beauvoir), durch das jeweils innewohnende Substantiv bereits wieder als eingeschränkt, als gewertet betrachten muss. Warum, um das Erstgenannte genauer zu spezifizieren, geworfen, gefallen oder sogar gedrängt? Warum nicht beschenkt, belohnt oder sogar bestraft? Verweigere ich allerdings Substantive und Adjektive zu setzten, kann ich über ‚das Leben an sich‘ nicht schreiben. Es muss genügen, darin aufgewacht zu sein. Das habe ich akzeptiert. Für mich ist mein Leben kein Strom von Ereignissen, die sich beschreiben lassen. Mein Leben sehe ich mehr wie ein steter Strom von Wandlungen, der sich nicht in Abschnitte unterteilen lässt, ohne das Strömen zu unterbrechen. Sicherlich muss ich hier und da Ereignisse eingrenzen, gewiss, aber ich betrachte das mehr als Ausnahmen und nicht als Regelfälle. Die Regel sollte das Strömen sein, nicht das Unterbrechen.



Stellen wir also die Frage nach dem Ich, das fragt…

Nun, da die Frage nach dem ‚Leben an sich‘ sich wohl nicht schriftlich oder Ereignis-setzend beschreiben lässt, bleibt nur noch die Fragestellung weiter einzugrenzen, um im Artikel weiterzukommen? Ich könnte jetzt weitergehen, indem ich die letzte Überschriften-Frage ergänze um den Einwurf, wer denn die Frage nach dem Leben eigentlich stellt. Wo eine Frage auftaucht, muss es eine Instanz geben, die diese Frage stellt. Die gestellte Frage ist somit eine Wirkung auf eine als existent gesetzte Ursache, da ja alles auf dieser Welt dem Gesetz der Kausalität [5. Kausalität: Das Gesetz von Ursache und Wirkung ist das 6. Hermetische Prinzip. Dieses Gesetz des Universums enthält die Wahrheit, die besagt, dass nichts durch Zufall geschieht, dass der Zufall nur ein Ausdruck ist, der eine Ursache anzeigt. So ist das Prinzip von Ursache und Wirkung die Grundlage von allem wissenschaftlichen Denken, ob alt oder modern, und wurde von den Lehrern der Hermetik formuliert. Dieses Prinzip von Ursache und Wirkung ist von allen großen Denkern der Welt als richtig angenommen worden. (www. Hermeneutik-international. com)] unterliegt. Und die einzig benenn-bare Ursache ist dann das ‚Ich‘, das euro-indische Philosophen wie Descartes zum Beispiel in ein ‚Ich denke, also bin ich‘ eingebettet haben. Ich werde also im Weitergehen nach diesem ‚Ich‘ fragen müssen, das die Frage nach dem Leben stellt.

Exkurs: Seltsam an der genannten Definition über die Kausalität ist nur, das eine der großen Kulturen der Welt (China) und seine philosophischen Traditionen, die immerhin auf Namen wie Kungtzu und Laozi aufgebaut sind, vollkommen ohne ‚Ursache und Wirkung‘ als Gesetz auskommen. Es stimmt also nicht, das alle großen Denker das als ‚richtig‘ ansehen. Es sind eigentlich sogar nur die euro-indischen Denkrichtungen, die Kausalität als Grundsatz ansehen. Viele Naturvölker sehen dazu wie das alte China [7. Neuere chinesische Philosophen haben die Kausalität als Motiv wieder aufgegriffen, aber nicht grundsätzlich als Gesetz anerkannt. Sie folgen damit der Globalisierung, in der auch europäische Schriften ins Chinesische übertragen werden müssen.] ebenfalls keine Notwendigkeit. Nun könnte man das Fehlen dieser Setzung als rückständig, als vor-philosophisch betrachten und daher ignorieren [8. Wie das große europäische Philosophen, zum Beispiel Hegel, ja auch getan haben.], nur, in China gab es eine Tradition, die es durchaus mit der euro-indischen Philosophie aufnehmen konnte und auch so etwas wie Kausalität kannte, den Monismus nämlich, aber die chinesischen Denker lehnten diese Form von Weltsicht bewusst ab. Sie taten das aufgrund der Überlegung, das das Aufteilen eines Lebens in Ereignisse nicht dazu in der Lage sei, einer Beschreibung des ‚Lebens an sich‘, des Lebens als Strom, des Lebens als Prozess gerecht zu werden. Sie entschieden sich vielmehr für das aus dem Taoismus stammende Dao, um die Fragen nach dem Leben zu stellen. Die Lehre des Dao nimmt das Leben an so wie es sich gerade darstellt und hinterfragt es nicht weiter. Es geht mehr darum, dem Strömen des Lebens keine Steine in den Weg zu legen und es trotzdem auf dezente und heilende [9. Die alte Definition: Dem guten Leben (Dao) zu dienen.] Art und Weise zu regulieren (Kungtzu). Regulieren und Zulassen sind die beiden großen Werkzeuge in dieser Kultur, die älter ist als jede Europäische und daher ganz und gar nicht als eine Vor-Kultur angesehen werden sollte. Das erscheint mir überheblich und damit typisch europäisch zu sein. Das Gesetz der Kausalität ist also nicht absolut gültig und ist daher auch nicht als ‚Wahrheit‘ bezeugbar [10. Wenn ich weiß, das Denken auch ohne die Anwendung von Kausalität ganz gut funktioniert, kann ich nicht Zeuge sein dafür, das dieses Gesetz grundsätzlich notwendig ist.].

Kommen wir nach diesem Ausflug in die Philosophie-Geschichte zurück zu der Frage nach dem ‚Ich‘, das die Frage nach dem Leben stellt. Das ‚Ich‘ hat in der Geistesgeschichte keinen wirklich guten Ruf. Viele Religionen wie der Hinduismus, der Advaita-Vedanta oder der Buddhismus betrachten dieses ‚Ich‘ oft als die Ursache allen Leidens. Es ist somit sozusagen Schuld an allen Übeln dieser Welt. Gier, Hass und Verblendung sind die Grundübel dieser Lehren. Sie alle bauen auf der Basis eines ‚Ich-Sein-Könnens‘ auf. Daher setzen diese Lehren oft dem Menschen die Aufgabe, dieses ‚üble Ich‘ aus dem Bewusstsein zu löschen. Es stellt sich somit an dieser Stelle die Frage: Ist das Löschen dieses ‚Ich-Sein-Könnens‘ wirklich für ein ‚gutes Leben‘ notwendig, wie das diese Traditionen fordern? Wir erinnern uns, Kausalität ist indo-europäisch und in den drei genannten Traditionen prägend. Prägend ist auch die Verwendung des Adjektiv ‚gutes‘ in diesem Zusammenhang. Ich hatte deren Verwendung aber schon auf Seite 2 behandelt und für mich zumindest als nicht zielführend erachtet. Kommen wir daher auf die alte chinesische Tradition zurück, in der ja eine andere Grundlage gesetzt ist, und fragen darin nach einem ‚Ich‘, so werden wir feststellen, das China und seine Schriften in der alten Zeit nicht nur Kausalität vermissen lässt, sondern auch keinen Ich-Begriff benötigt, um zu Kommunizieren. Wenn es also eine Sprache gibt, die ohne Ich auskommt, lässt sich die Notwendigkeit, ein Ich zu haben, ebenfals nicht als allgemeingültig setzen. Somit ist die Frage nach dem Ich ebenso hinfällig wie die Frage nach den Adjektiven und Substantiven. Nach ‚Leben an sich‘ können wir auch nicht mehr fragen. Das hatte ich ebenfalls verworfen.

Betrachte ich nochmal kurz das ‚Ich-sein-Können‘ vollkommen ohne Vorurteil und in der Form einer für mich gültigen Erzählung, bin ich subjektiv betrachtet eigentlich recht froh, über diese Fähigkeit verfügen zu können. Die Tatsache, das ich oft erst am späten Abend in der Dunkelheit sicher und problemlos nach Hause in meine Höhle komme verdanke ich der Tatsache, das ich weiß, wo dieses mein Zuhause sich befindet und es Mittel und Wege gibt, mich dort auch im Dunkel der Nacht hinzubringen. Habe ich dann Hunger und/oder Durst und gehe zum wohl gefüllten Kühlschrank, bin ich sehr froh darüber, das ich gestern, satt und zufrieden nach gelungenem Mahl, daran gedacht habe, das ich auch heute Hunger haben könne und vorsorglich dieses kühlende Wunderwerk der Technik mit neuen Leckereien befüllt habe, die mir bekannte Spezialisten in ihren Läden in hervorragender Qualität herstellen und anbieten. Ohne ein ‚Ich-Sein‘ und dem damit verbundenen ‚Wir-Sein‘ würden solche freudvollen Erlebnisse nicht wirklich stattfinden. Das ‚Wir-Sein‘ ist in meinem Denken der Grundpfeiler, auf dem sich mein ‚Ich‘ Entwicklungsgeschichtlich hat aufbauen können. Denn ohne die Gemeinschaft des Wir wären Sprache, Verständigung, Gemeinschaft und Zusammenwirken zwischen Menschen nicht möglich. Das erst hat Menschen zu dem gemacht, was sich heute als Spezies Mensch bezeichnet und die uns bekannte Welt regiert. Das derselbe Mensch sich nicht selten als die Krone der Schöpfung betrachtet und sich wie ein absolut herrschender Monarch in der Lebenswelt verhält, ist in meinem Denken eine pervertierte Ansicht. Sie ignoriert die Kreisläufe, die zwischen Lebewesen existieren und sieht die gegenseitigen Abhängigkeiten nicht. Die Bildung von Gemeinschaften ist das Erfolgskonzept des Menschen, und dazu gehören somit auch die großen Erfolge von Kultur und Technik. Das dabei aber nicht alles Gold ist, was glänzt, ist eine andere Geschichte und für einen anderen Artikel vorbestimmt. Gehen wir also zurück zum Thema: Was bleibt also jetzt noch von der Ausgangsfrage übrig?



Weil ich es kann

Die Frage nach dem guten, richtigen Leben füllt Bestseller, Ratgeber und Philosophie-Bücher in großer Zahl und könnte ganze Bibliotheken allein füllen. Meiner Ansicht nach ist diese Frage aber schlicht und/oder schlecht oder sogar falsch gestellt. Wir Menschen sind zum Herrscher dieses Planeten geworden, weil wir dazu fähig sind, mittels Sprache ‚Ich zu sagen‘ und in Wort und Schrift Erfahrungen weiterzugeben. Wir sind zu dem geworden, was wir sind, weil wir Gemeinschaft pflegen und gemeinsam mit anderen für und an unserem Lebenswerk arbeiten. Zu wissen, was Leben im Grunde genommen wirklich ist, ist also nicht eine Voraussetzung eines Lebens. Ich sehe jeden Tag viele Menschen, die große und hervorragende Fähigkeiten haben und Großes zu leisten vermögen. Und wenn ich die Menschen fragen würde, warum sie das gerade so tun und nicht anders, würde ich viele Antworten bekommen. Ereignisse und Motivationen aber sind nicht die einzig möglichen Inhalte dieser Antworten. Mir fehlt oft der so schön gestaltete und ziemlich profane Satz, der alles erklären könnte: Ich tue das, weil ich es kann. Ich glaube heute, das Leben sich einfach ergibt, und egal wie immer es sich auch darstellt, es trotzdem wert ist, gelebt zu werden. Das ist auch in Ermangelung einer zufriedenstellenden Antwort auf meine Fragen die gelebte Zwischenlösung, die mir Kraft und Zuversicht vermittelt. Und das in mir neben dem Zweifel auch die Sehnsucht wohnt, ist eben so. Ich kann es doch wohl gerade nicht ändern, daher kann ich nur damit arbeiten und es, sollte sich niemals etwas anderes ergeben, mit dem letzten Gedanken meines Lebens akzeptieren. Ich habe versucht, Zweifel und Sehnsucht in eine klare übergreifende Form zu setzen. Es war mir bisher nicht zufriedenstellend möglich. Letztens habe ich geträumt davon, das die Abfolge „Hervorbringen, Anhäufen, Zerstreuen“ zu einer Antwort oder zumindest zu einer Annäherung an eine Antwort führt könnte, und ich beschäftige mich seit Tagen schon mit dieser neuen Chance. Ob sie ein Ergebnis zu Tage fördert, wird sich erweisen. Also, solange ich lesen und an der Frage der Fragen arbeiten kann, werde ich das auch tun. Soviel ist sicher. Und auch wenn sich keine Antwort ergibt, allein diese Frage zu stellen belohnt das Leben schon ganz allein. Das ist meine Antwort auf die zu Beginn gestellte Aufgabe: Die Frage ist der Schlüssel, die Antwort selbst ist weder entscheidend noch wichtig. Ich lebe, weil ich Leben in mir spüre, weil ich lebendig bin und ich leben kann, und das Warum und Wieso überlasse ich denen, die unbedingt eine Antwort benötigen, um der Depression zu entgehen oder neue Motivationen zu bekommen. Mir genügt heute die Aussage: Ich lebe. Und das finde ich toll. Und auch das stete Scheitern an Antworten kann mich nicht vom Leben abhalten. Alles Weitere findet sich schon, irgendwie.