So-Sein, sonst nichts!

Es gibt Zeiten, die sind grau: in sich grau, und werden erlebt als ohne Hoffnung, ohne Sinn. Alles fällt schwer in dieser Zeit, jede Regung kostet, jeder Gedanke belastet, jedes Wollen stirbt. Ich spüre dann zwar das Lebendige in mir, aber es gibt nicht etwas damit zu tun, alles scheint bereits getan zu sein, nicht liegt mehr an, und nichts ist unerfüllt. Und auch die andere Seite dieses So-Seins fehlt, es gibt kein Glück, keine Freude und kein sich wohl fühlen. Die Dinge und Gegebenheiten sind, sonst nichts.

Es ist schwer in Worte zu fassen, aber nicht fehlt dann etwas, und nichts ist zu viel. Zwar erreicht mich jedes Geräusch, jede Berührung, aber es gibt einen erheblichen Widerstand, daraufhin aktiv zu werden. Die Augen ins ferne Nichts gerichtet, genieße ich diese Zeit der Stille, ich bin, nicht traurig, nicht erfüllt mit, nicht mit egal, nur ich bin. Und diese Zeit dauert, bis ein neuer Schlaf mich überfällt, ein Schlaf, der mich richtig schlafen lässt oder der mich zu etwas anderen hinzieht.

Ich weiß, es ist schwer für euch, dies zu verstehen. Ich verstehe es ja selbst nicht, und so erwarte ich es auch nicht von euch. Aber ich wünsche mir von euch, die ihr meine Freunde seid, dass ihr mich dieses Unverstandene leben lasst, wenn es mich überfällt, auf das ich es ergründen kann und so zum Verstehen komme. Ich möchte es nicht mehr abweisen, so wie ich es viele Jahre schon getan habe, denn es ist wirklich, und es ist real, und es ist lebenswert.

Für viele von euch ist es nur krankhafte  Depression, oder vielleicht nur eine Stimmung, und ihr überlegt, woher diese denn wohl kommen könne und ob vielleicht ihr es sogar wart, die sie auszulösen vermochten. Ich sehe das Fragen in euch, und ich verstehe es auch, und dies nicht nur, weil ich selbst so lange schon damit konfrontiert bin. Aber ich habe keine Antwort, und so kann ich euch nicht trösten. “Es ist”, und das ist alles, was ich sagen kann. Und vielleicht habt ihr sogar recht damit: eine Depression, eine Stimmung. Aber erst wenn ich ergründet habe, werde ich es wissen und erklären können. Und bis dahin erbitte ich eure Geduld, und euer Verständnis.

Vieles schon haben mich diese Zeiten gelehrt, zumindest glaube ich, dass das Gelernte von dort her stammt. Viele Beobachtungen sind aus dieser Stille gewachsen, viele Wiederholungen sind aus dieser Stille heraus mir bekannt geworden, und viele wichtige Entscheidungen, auch sehr schmerzliche sind darunter, sind nach einer solchen Stille gefallen, und sie waren stets förderlich und haben mich stets weitergebracht. Diese Stille ist also nicht Nichts, und doch gibt es nichts darüber zu denken, nichts darüber zu sagen. Sie ist.

Es gibt keinen Zugang und keine Tür dorthin, jedoch: Es gibt Dinge und Weisen, die den Eintritt fördern. Da ist zunächst einmal die Sättigung nach eine Phase des Hungers, die Stille nach einer Zeit der Hektik, die Leere nach einer Zeit der Ausgefülltheit, die Ruhe nach einer Phase der Eile, das Gelingen nach einer Zeit der Unsicherheit, die Müdigkeit nach einem erfüllten Tag. Es ist also immer ein Ende vor einem neuen Anfang, etwas geht, und ein Neues ist noch nicht da. Und vielleicht ist es nur die Pause zwischen zwei Aktivitäten, die sich übermäßig ausdehnt, als würde ich in ihr verweilen.

Diese Pause ist wie ein Buch mit leeren Seiten, und beim Aufschlagen füllen sich diese für kurze Zeit, verschwommen zwar und oft unklar und unleserlich, aber sie machen neugierig und schütteln an der Ordnung, die mir oft als so selbstverständlich erscheint, und häufig bin ich dann verwirrt, kann mich zu nichts mehr entschließen, habe ich den Faden für kurze Zeit verloren, um ihn dann, nach ewigen Sekunden, wiederzufinden in einer neuen Farbe. Und alles scheint dann gewohnt und sicher wie zuvor, und doch: mir erscheint die Welt für kurze Zeit gewandelt, in einem neuen Licht.